Diskussions¬ forum

DM-M 4,80 Februar 1990

Aus dem Inhalt:

Texte aus der DDR:

- Interview mit Thomas Rudolph

- SPD; Bericht vom Parteitag

- Leipziger Chronik (Teil 4)

- Unabhängige Gewerkschaften

Polen: Erklärung der Wroclawer PPS-RD

N

Revolution in Rumänien

UdSSR: Streikkomitee der Stadt Workuta

Urteilsspnich des Internationalen Tribunals von Lima, September 1989

Ost-West-Literatur: Daud Haider

Inhalt »Ost-West-Diskusaionsforum« Nr. 10

DDR: Chaos - Eine Lösung gibt es

nur durch die Demokratie . . .

Interview mit einem Beschäftigten in einer Brikettfabrik .

Hat die Regierung Modiow ein Konzept? Ja, den Ausverkauf der DDR .

Interview mit Thomas Rudolph . 5

Presseerklärung oppositioneller Gruppen zur Montagsdemonstration . 8

DDR: SPD

Bericht von der SPD'Deleglerterüconferexrz. . . . 9

BeschiuB zur Koalitionsfrage /

Erklärung zur deutschen Frage . 9

Interview mit Eveline Heineinann, SPD . 10

DDR: Geschichte

Auszüge aus der Rede der Rostockerin Käthe Wolthemath' Kiogmann auf der SFD-Delegiertenkonferenz zur

Zwangsvereiiügungl946 (FR, 23. 1. '90) . 11

DDR: Berichte und Diskussion

Heinz Geelhaar: Warum die politischen Monopole ln

Osteuropa wie die Fliegen sterben oder:

Die Zeit ist reif ( . 13

Gründungserklärung von »Demokratie jetzt n . 14

Bericht zur 1. Gesamtdeutschen Arbeiter’ und

Jugendkonferenz am 17. 12. in Berlin . 16

Aus einem Interview mit einem Kollegen vom »Arbeitskreis für Arbeitnehmeipolitik und Demokratie « in Leipzig ..17

Leipziger Chronik (Teil 4) . 18

DDR: Unabhängige Gewerkschaften . 21

Dokumente : Aufruf der »Initiative für

unabhän0ge Gewerkschaften^ . 21

Auszug aus einem Flugblatt aus Leipzig . 23

Hans Biaselmann, SDP Lichtenberg;

Zu Fragen der Gewerkschaften und der Betriebsräte . . 24

Osteuropa:

Polen: Erklärung des Wrodawer Regionalen Arbeiter’ komitees der PPS-RD (zur Nominierung des

Ministerpräsidenten Mazowiecki), 13. 9. '89 . 28

Rumänien: Der Sturz der Ceausescu-Clique -

Die Revolution der Rate . 33

Berichte und Dokumente aus Rumänien . 31

UdSSR:

Appell des Streikkomitees der Stadt Workuta

an die Arbeiter der Sowjetunion . 32

Resolution der Beratung der Vertreter der nationalen

demokratischen Bewegungen der UdSSR . 33

Aufruf des litauischen Verbandes für gegenseitige Hilfe andie Völker des Baltikums . 34

Der Urteilsspruch des Internationalen Tribunals gegendieVerschuldungüiLima, September 1989 ... 35

08t"West«Lltefatur Nn 5 _

Gedichte von Daud Haider. Bangladesh (jetzt Berlin):

In unserer Familie . 38

Das Land, das mein Land ist . 38

Mein Land . 39

Feuer der Hölle . 39

Tief in mir . 39

Die Blinden und die Stummen . 39

Tief ist die Leere . 39

Der hungrige Stein . 40

Vorwärts . 40

Der Zerstörer . 40

Impressum

Herausgeber: Ost-West-Gesellschaft e.V.. Stemstr. 50, 4000 Düsseldorf

Redaktion , M itarbeHer u nd Förderer. Mitarbeiter der »Initiative Frieden und

Annette Bahner: Köln Menschenrechte« , Leipzig

Carla BoulbouUä ; Düsseldorf Hiniich Olsen; Schwäbisch- Gmünd

Reinhard Büttner; Begensburg Pelikan; Rom, vormala CSSR

Carsten Hahn; Berlin (West), vormale Jena Bernhard Peters ; Heidelberg, vormals Halle

Max von Heckei; München Lothar Ratei; Piankfuit

Dr Dietrich Hoß; Frankfurt Zhigrüew Sadlak; München, vormals Polen

Karl-Heinz Gerhold; München Schmidt ;MüiK*en

Dorothea Goldhacnmer; Bremen >,

Hans-Georg Grothe:Keferrod-Buxgbracht.vonnals DDR Torsten Sielaff; Oberhausen, yormüs Wittenberg

Frithjof Heller; Heidelberg, vormals Greifswald WoUgang So^tag|BerUn (West), vormals Leipzig

UweKahle^erg; Ber^{Wes^ vormals Weimar Wiesbaden, Normals Halle

TomislavK^enec; Jugoslawien Ulrich Thöne; Berlin (West)

JorgKnaa^; Berta (West) vormals A^lda Gotthard Kiupp’Boulboullä; Düsseldorf

Für unvailangt eingasandt« Manuskript« kann keine Gewähr übernommen werden. Nachdruck (mit QueUenangahe] ist erwünscht;

bitte Belegexemplar zusenden. . .

Beim Minister für KxUturder DDR wurde am 5. 12. 1989 eine Zulassung des «Ost-Wesrt-Dlskussionsfonim« zur Posizeitungsvermebs-

Uste der Deutschen Post in dei DDR beanuagt.

Preis pro Exemplar: 4.80 DM / 4,80 M AbOprels: Abholer jährlich: 20,- DM / 20.- M (6 Nr.) Postabo 26,60 DM / 26,60 M ab 10 Exemplare: 1 Freiexemplar ab 20 Exemplare: 4 Freiexemplare

Ban kverblndungen :

Für MaterieUien; Postgiro Köln, 2463 85 509 Für Spenden: Postgiro Essen, 4105 54 436

V.i.S.d.P.: GoUhardKrupp’Boulboullö, Stemstr. SO; 4000 Düsseldorf

DDR

Eine Lösung gibt es nur durch die Demokratie

Chaos-

Hans Modrow, Ministerpräsident derSED-Regierung. hat am Montag, den 29. 1. ’90. vor der Volkskammer einen Bericht zur Lage der DDR abgegeben. In diesem Bericht begründet er die Vorverlegung der Wahlen auf den 18. März. Ziel dieses Vorschlags ist es, „die Situation in unserem Land zu bessern, zu beruhigen, zu stabilisie¬ ren". Die derzeitige Regierungskoalition unter Führung der SED „erweist sich... zunehmend als zerbrechlich“ . Den Grund dafür sieht er darin, daß die „ökonomischen und sozialen Spannungen“ zu genommen haben,

Modrow geht auf die zunehmenden Streiks für „Erhö¬ hung der Löhne und Gehälter, nach Verlängerung des Urlaubs, nach Erhöhung der Renten und nach weiteren sozialen Verbesserungen ' ein, Ein Nachgeben und eine Erfüllung der Forderungen würde, so Modrow, „die Exi¬ stenz der DDR gefährden Diese Streiks seien es, die die Wirtschaft zerrütten und zu weiteren sozialen Spannun¬ gen führen -

Auf der politischen Ebene beschreibt Modrow den all¬ gemeinen Zerfall der politischen Institutionen. Örtliche Volksvertretungen sind nicht mehr beschlußfähig oder lösen sich auf. Es findet eine Demontage der Volksver¬ tretungen statt. Das führt „auch zur Unsicherheit im gesamten Staatsapparat“.

Nicht zuletzt warnt Modrow davor, daß die „Rechts¬ staatlichkeit und Rechtsordnung“ zunehmend in Frag© gesteLt werden. Diese gesamte Situation wird unter der Bevölkerung zu weiterer Unsicherheit, einer der zentra¬ len Ursachen für die nicht abreißende Ausreisewell©, führen.

Modrows Analyse der Situation wirft Fragen auf.

Zu den zentralen Forderungen der Demonstrationen und auch der Streiks gehört der Ruf nach „Schluß mit der SED und der SED-Regierung. Enteignet die SED. " Das Volk ist auf di© Straß© gegangen, um die SED -Herrschaft zu beenden. Es geht um die SED als der politischen Orga¬ nisation einer Bürokratie, die das ganze Land ins Verder¬ ben gestürzt hat, und die sich schamlos auf Kosten des Volkes bereichert hat. Doch genau diese SED ist noch in der Regierung, beherrscht weiter den Staatsapparat und stellt die Leitungen in den Betrieben. Justiz, Staatsan¬ waltschaft und Verwaltungen, alles ist noch in der Hand der SED. Das heißt aber auch, daß der Auflösungsprozeß des Staatsapparates untrennbar verbunden ist mit dem Auflösungsprozeß der SED selbst. Nicht die streikenden Arbeiter führen die Destabilisierung herbei. Quelle der Destabilisierung und der allgemeinen Verunsicherung ist die SED, die unter allen Umständen an der Macht fest- halten will.

Ist eine andere Lösung im Interesse der Bevölkerung und der Demokratie vorstellbar als die der Säuberung des gesamten politischen Lebens von der Bürokratie? Das aber müßte mit dem sofortigen Rücktritt der Regie¬ rung beginnen. Das Volk ist nicht bereit, sie länger zu dulden. Die Verwirklichung der Demokratie, das Recht des Volkes, selbst über seine gesellschaftliche, politi¬ sche und wirtschaftliche Ordnung zu entscheiden, ist unvereinbar mit der weiteren Herrschaft der SED.

Ändert das Angebot von Modrow an die Vertreter des «Runden Tischs«, sich an der Regierung zu beteiligen, grundsätzlich etwas, oder wird damit nicht nur eine Scheinlegitimation für das weitere Überleben der SED- Herrschaft hergestellt?

Modrow hat jetzt in seiner Rede den Konsens mit der Opposition betont. Auf diesen Konsens zwischen Regie¬ rung und Opposition will er die weitere Arbeit seiner Regierung stützen. Er umschreibt die Grundlagen des Konsens so:

1. die Volkskammerwahlen werden auf den 18. 3. vor¬ verlegt;

2. am 6. Mai folgen die Wahlen zu den Volksvertretun¬ gen;

3. diejetzt zu bildende Regierung der „Nationalen Ver¬ antwortung“ soll diese Wahlen vorbereiten. Dazu ent¬ sendet jede Gruppe/Partei des «Runden Tischs« einen Vertreter als Minister ohne Geschäftsbereich in den Ministenat;

4. die Regierung wird einen Vertreter im Range eines Ministers an den Runden Tisch entsenden.

Kann das dem Volkswillen entsprechen? Wird es nicht vielmehr als Manöver auf ge faßt werden, um auf diesem Weg die SED-Regierung noch einmal zu retten? Sie kon¬ zentriert weiter alle Machtpositionen in Verwaltungen und Betrieben in ihrer Hand. Welche Funktion soEen die Vertreter der SPD. des »Demokratischen Aufbruchs«, der »Vereinigten Linken«, der »Initiative Frieden und Menschenrechte«.,, in der Regierung erhalten? Sie wer¬ den für alle Entscheidungen mitverantwortlich gemacht werden, haben aber keine Macht. Die könnte ihnen nur die demokratische Willensbildung und Entscheidung des Volkes geben.

Nein, eine solche Form der Regierungsbeteiligung wird keinen Schritt hin zur Verwirklichung der Demokra¬ tie und der Herausbüdung stabiler Verhältnisse sein; die SED-Regierung unter Modrow muß zurüoktreten. Die Ausreisewelle dokumentiert dies genauso wie die Rufe auf den Demonstrationen nach ..Deutschland, einig Vaterland.

Die Regierung Modrow sucht ihrerseits einen Ausweg aus der Krise in der Zusammenarbeit mit der Bundesre¬ gierung unter Helmut Kohl und den Untemehmerver- bänden, so wie umgekehrt die Re0erung Kohl auf Modrow und die Bürokratie setzt. Die ersten gemeinsa¬ men wirtschaftlichen Vereinbarungen und die Anforde¬ rungen der Regierung Kohl und der Unternehmer wer¬ den nicht, wie es die Streikenden fordern, zum Ausbau der sozialen Sicherheit, Lohnerhöhungen usw. führen, sondern in den sozialen Abstieg - in Ost wie in West. Die SED erweist sich für Kohl, Krupp, Thyssen... heute als der beste Venragspaitner ln der Organisierung des Aus¬ verkaufs der DDR- Wirtschaft und Produktion. Ein Schei¬ tern der Bürokratie wäre auch ihr Scheitern. Deshalb muß man davon sprechen, daß sich die Forderungen der Bevölkerung, der Arbeiter in den Betrieben sowohl gegen Modrow wie auch gegen Kohl richten.

Wer die Demokratie wirkbch will, d.h. die Henschaft des Volkes, der muß dem Volk das Recht geben zu ent¬ scheiden, wie und ob die DDR als eigener Staat weiter¬ existieren soll; der muß dem Volk das Recht geben, über die nationale Frage, über seine staatliche und wirt¬ schaftliche Ordnung zu entscheiden; der muß freie Wah- , len in ganz Deutschland ermöglichen. Wenn dieser Weg rücht beschritten wird, wird es nur zu einem noch größe¬ ren Chaos kommen.

Oskar Lafontaine hat auf dem Parteitag in Berlin die

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soziale Frage gegen die nationale gerichtet. Er hat auf das soziale Problem hingewiesen, daß Tag für Tag lOOOde Übersiedler kommen. Aber was sind die Ursache für diese Entwicklung? Es ist die politische Weiterherr- Schaft der SED, die zur Verunsicherung führt. Gleichsei¬ tig treibt die Angst vor weiterer sozialer Verarmung vie¬ le Menschen in Richtung Westen. Die Arbeiter in der DDR wollen, daß mit den Privilegien, der Korruption, der heimlichen privaten Aneignung des Volkseigentums durch die SED Schluß ist. Sie wollen der Bürokratie die Kontrolle über die Wirtschaft entziehen. Sie wollen einen guten Lohn, für den man auch etwas kaufen kann, und eine Garantie der Arbeitsplätze. Das sind Forderungen, für die die Arbeiter auch hier im Westen stehen.

Die Unternehmer, die mit dem Kapital winken, werden ihnen das nicht bringen. Das Kapital folgt seinen Profit* Interessen und sieht in der DDR das Tenaln eines Billig* lohnlande 8. in dem es sich bezahlt macht zu investieren. Sie können ihre Geschäfte jetzt bestens mit dem SED* Staat abwickein. Nein, das kann keine Lösung für die Bevölkerung bringen. Das Beispiel Polens zeigt, daß der „Segen“ des Kapitals dem 'Volk bittersten Hunger gebracht hat ebenso in Ungarn und Jugoslawien. Bereichert haben sich nur die Bürokraten sie wurden zu den neuen Unternehmern.

Es geht darum, daß die arbeitende Bevölkerung in Ost

Was passiert, wenn zum jetiigen Zeitpunkt Mindest¬ umtausch und Visumpflicht für alle Bundesbürger ent¬ fallen?". fragte in diesen Tagen ein Plakat der »Autono¬ men Aktion Prenzlauer Berg«. Arbeit in der DDR lohne sich nicht mehr, denn selbst die ärmsten Bundesbürger seien beim Umtausch ihrer Währung den genauso hart arbeitenden DDR-Bürgern überlegen. Gewarnt vhrd auch vor westdeutschen Neonazis, die sich dank der neuen Regierung ungehindert auf dem Gebiet der DDR bewegen und zum Zünder für Explosionen werden könnten. Wenn die Regierung weiterhin mit so leichter ffand Verträge unterschreiben kann, dann brauchen wir am 6. Mai 1990 nicht mehr zu wählen, weil es nichts mehr zu wählen gibt, "

Es ist aUerdings auffallend, daß die Regierung Modrow bisher kaum etwas über flankierende Maßnah¬ men za der neuen Grenz Öffnung verlauten ließ. Dienst¬ leistungen, Kneipen, Theater, Kinos und vieles andere, soviel ist sicher, werden von DDR-Bürgern in Zukunft kaum noch besucht werden können. Welcher Westberli¬ ner wird noch für teure Westmark zum Friseur in West¬ berlin gehen, wenn er das gleiche für wenige Pfennige einige hundert Meter weiter haben kann. Die Arroganz von DDR-KeUnern wird sich noch verstärken: Es gibt schließlich genügend Gäste, und die besseren geben auch schon mal eine Westmark als Trinkgeld. Ganz abgesehen von der Frage, ob die ewig angespannte Warendecke der DDR diesen Ansturm von BRD-Bürgern nach Schuhen, Werkzeugen, Textilien, allem, was nicht verzollt wird, aushalt en kann.

Aber die von niemand legitimierte Regierung Modrow (auch die Volkskammer ist nicht legitimiert!) trifft auch weittragendere Entscheidungen. Sie segnet Vereinbar¬ ungen zwischen Ost- und Westunternehmem über Beteiligung von Westkapital ab, die bis dato keinerlei gesetzliche Grundlage haben. Sie trifft mit Siemens Ver¬ einbarungen über Nachrüstung von alten und den Bau

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und West sich vereint, gegen den Handschlag von Büro¬ kraten und Unternehmern. Die Einheit, die in dieser Wei¬ se von der Arbeiterbewegung her heranwächst, wird sich auf der Grundlage der Interessen des Volkes ver¬ wirklichen. Es gibt keinen Gegensatz zwischen sozialer und nationaler Frage, wie ihn Lafontaine provozieren will.

Das gibt den Organisationen der Arbeiterbewegung eine neue Verantwortung; die Einheit der arbeitenden Bevölkerung auf der Basis ihrer gemeinsamen Interes¬ sen zu schaffen und gemeinsam zu diskutieren, wie eine sinnvolle, von den gesellschaftlichen Bedürfnissen her bestimmte Produktion und eine ausreichende Versor¬ gung der Bevölkerung in ganz Deutschland, die demo¬ kratische Kontrolle über die Handels- und Wirtschafts¬ beziehungen, gesichert werden kann. Es geht heute um die Perspektive für ein Deutschland, welches befreit ist von der Herrschaft der Bürokratie, aber auch von dem Profitstreben des großen Geldes, welches auf Grund der Zerstörung durch Spekulation Massenarbeitslosigkeit und Armut bringt. Die Revolution, die von der DDR aus¬ gegangen ist. eröffnet die historische Chance für di© Verwirklichung eines freiheitlichen, demokratischen und sozial fortschrittlichen Deutschlands.

Gotthard Krupp-Bouboulle, 31.1. *90

Konzept?

von neuen Atomkraftwerken. Sie trifft Grundsatzent¬ scheidungen, zu denen sie als Über gangsregiemng mit¬ nichten befugt ist. Sie macht das in einer Geschwindig¬ keit, die jede künftige Volksvertretung vor vollendete Tatsachen stellt.

Auf dem Sonderparteitag der SED warf am Samstag der für Wirtschaftsfragen zuständige Nowakowski der Modiow-Regierung genau das. den plan- und konzeptlo- sen Ausverkauf der DDR und den Import fremden Kapi¬ tals vor, Di© Wirtschaftsministerin der Modrow-Regie- rung, Prof, Christa Luft (SED), verteidigte sich folgender¬ maßen:

„Wir sehen die Wirtschaftsreform natürlich nicht als ein Ziel, sondern wir sehen sie als ein Mittel. Die Gestal¬ tung der Wirtschaft in diesem Lande, mit der wir dieses Land zu einer attraktiven Heimat für 36 Millionen Men¬ schen machen können, und vielleicht auch für welche, die uns verlassen haben, daß sie jetzt zurückkommen. - zu einer Heimat zu machen, daß sie freiwillig gern hier bleiben, daß sie entsprechend ihrer Leistung ihre Bedürfnisse befriedigen können, ihre sozialen und ihre ökologischen Bedürfnisse gleichermaßen; und daß sie bitteschön auch ein Eigentümerbewußtsein und ein Eigen tüznerverhalten entwickeln. Dieses Verhalten muß natürlich zuerst in unseren volkseigenen Betrieben beginnen, indem die Werktätigen dort Einfluß gewinnen auf die Gestaltung effektiver Produktionsstrukturen, indem sie auch Einfluß bekommen darauf, wer sie leitet. indem sie auch Einfluß bekommen auf die Arbeits- und Lebensbedingungen, usw. Aber dieses Eigentümerbe- wußtsein, dieses Eigentümerverhalten, diese Bindung an die Heimat zu erreichen, ich persönlich sehe dafür auch solche Möglichkeiten wie die Ermöglichung des Kaufs von Grundstücken, von Eigenheimen, von Eigen¬ tumswohnungen bitteschön, (Applaus) alles muß durch die Volkskammer noch hindurch. Und dies kann, dies kann ich unterstreiche das dick— bis zum Erwerb

Hat die Regierung Modrow ein Ja, den Ausverkauf der DDR !

DDR - Interview

von AJrtien gehen, aber auch dies JDedaif ja noch des Kon¬ sens in unserer Gesellschaft. Ich niui3 eine Bemerkung dazu machen, Diese Regierung maß sich Gedanken machen, wie wir den Kaufüberhang in unserem Lande sinnvoll binden. Denn, was wir nicht wollen, ist eine Abwertung unserer Wähmng, die die vielen kleinen Spa¬ rer doch vor allen Dingen betreffen würde f" (Applaus).

- Frau Luft sprach beredt vom Einfluß der Werktätigen in den Betrieben und auf deren Leitung. Wurde nicht genau das bisher von Partei und Regierung erfolgreich verhindert?

- Flau Luft möchte bei den Bürgern der DDR „Eigen¬ tumsverhalten" entwickeln. Das soll aber nicht gesche¬ hen, indem die Arbeiter ihre Betriebe seu^st überneh¬ men. sondern über Ankauf von Grundstücken. Eigen¬ tumswohnungen und Aktien. Preisfrage: Welche Leu¬ te werden das Geld haben, um Aktien und anderes zu kaufen? Arbeiter oder Angehörige der Führungs¬ schicht?

- In einem Punkt möchten wir Frau Luft zustimmen: Ein neues Vereinigungsrecht. ein neues Mediengesetz, ein neues Zivilrecht, ein neues Arbeitsrecht, ein neues Strafrecht und nicht zuletzt eine neue Verfassung, „alles muß durch die Volkskammer noch hindurch". Und nicht zuletzt muß eine wirkliche Volksvertretung geschaffen weiden.

Glaubt Frau Luft im Emst, daß es den „volkseigenen Betrieben" nach ihrem Konzept ad hoc und auf Dauer möglich sein wird, gegen internationale kapitalistische Konzerne anzustinken, die Herr Modrow ins Land lassen will und die doch zu einem wesentlichen Teil auf den Bü- liglöhnen der 3. Welt basieren? Und wie soUdas mit der Ökologie Zusammengehen, wenn doch internationale Konzerne dadurch überlegen sind, daß sie die Lösung ihrer ökologischen Problem© den Regierungen und Gesellschaften überlassen, bzw. in die Dritte Welt ver¬ schieben.

Leider löste das Phantasiekonzept von Frau Luft leb¬ haften Beifall der Delegierten des SED-Parteitages aus, während Rudolph Bahro, 1978 aus der Partei ausge¬

schlossen, zu 8 Jahren Haft verurteilt und dann in die BRD abgeschoben, mit seinen Überlegungen nur höhni¬ sches Gelächter und Unverständnis erntete: „Auch Hans Modrow will das Hase-Igel-Spiel fortsetzen, dieses Autorennen Trabi -Wirtschaft gegen Meicedes-Wrt- schäft, bei dem unsere Wirtschaft auf der Strecke blei¬ ben muß. "

So sehr sich die SED gewendet hat, Nachdenklichkeit über die Sackgasse der Industriegesellschaft kann man von ihr nicht erwarten. Noch weniger leider von den anderen Alt- und Neu-Parteien, soweit sie lücht ohne¬ hin, wie der »Demokratische Aufbruch«, soweit verstrit- ten sind, daß ihre Spaltung vorgebucht ist. Langsam geht auch die Hoffnung verloren, daß sie wenigstens im Interesse ihrer Selbstprofilierung den Runden Tisch nut¬ zen, um den unzeitigen Tatendrang der Regierung Modrow 2u bremsen und wenigstens Grundsatzent¬ scheidungen wie z.B. die über ein neues energiepoliti¬ sches Konzept bis zu einer Volksentscheidung zurückzu¬ stellen.

Möglichkeiten zu einer kompetenten Entscheidung wird die Bevölkerung auf lokaler Ebene haben. Hier wer¬ den Parteienvertreter keine Sprechblasen erzeugen kön¬ nen, hier sind konkret© Antworten gefragt- Es wird Auf¬ gabe der Ökologiegruppen und anderen Basisgruppen, der Bürgerkomitees und anderen Bürgeriiütiativen, der Betriebsräte vor Ort sein, die realen Probleme des Lan¬ des zu benennen und einen wirklichen ökologischen und sozialen Umbau der Industnegesellschaft anzuregen. Deshalb bleibt, selbst abgesehen von der Wahlfäl¬ schung, der nächste logische Teimin eine Wiederholung der Kommunal wählen, und zwar vor den Volkskammer¬ wahlen, selbstverständlich nach einem neuen Wahlge¬ setz. Eine verfassunggebende Versammlung kann dann aus den Vertretern von Kreisen, Bezirken bzw. Ländern zusammengesetzt werden. Eine Demokratie sollte von unten nach oben aufgebaut werden, nicht umgekehrt.

- rJ. - (Quelle: teJegraph 10/89)

Interview mit Thomas Rudolph

Thomas Rudolph ist einer der drei Sprecher der »Initiative Frieden und Menschenrechte« in der DDR, einer der Pres- seprecher des Bürgerkomitees Leipzig und einer der stimmberechtigten Mitglieder am »Runden Tisch« in Leip- zig.

Frage: Gestern, am 2. 1., war zum ersten Mal der »Runde Tisch« in Leipzig. Was ist als Ergebnis festzuhalten?

Antwort: Eigentlich hat es überhaupt kein Ergebnis gezeigt, zumindest nicht im positiven Sinne. Das eigentlich wichtige Thema, nämlich der Termin für die Kommunal- wahlen und die Überlegungen zur Strukiurrefonn - zur Wiederherstellung des Landes Sachsen wurde über¬ haupt nicht behandelt. Vielen am Runden Tisch erschienen andere Fragen, darunter u.a. auch die. wie der Rat des Bezirkes die Lebensfunktionen Leipzigs aufrechterhält, als wichtiger. Und darüber sind vrir zu detalUienen Informatio¬ nen gekommen, etwa wieviel Raketen über Sylvester Brän¬ de verursacht haben, wie viele Verkehrsunfälle es gab, und - das ist bestimmt eine wichtige Sache, aber man muß sich überlegen, ob das vom »Runden Tisch« jetzt behandelt werden muß - vheviel Mülldeponien zusätzlich eingerich¬

tet werden müssen, weil die Stadt nicht mehr in der Lage ist, den Müll abzu transportieren, und ähnliche Fragen.

Darüber hinaus ging es um die Frage der allmontaglichen Demonstrationen. Außer der »Initiative Frieden und Men¬ schenrechte« hielten es alle für sinnvoll, einen Beschluß darüber zu fassen, daß die montäglichen Kundgebungen vor den Demonstrationen entfallen sollen. Wir als »Initiati¬ ve Frieden und Menschenrechte« bedauern das sehr, weil gerade die Demonstrationen in Leipzig das eigentliche Rückgrat der Büigerbewegung in der DDR sind.

Frage: Wer sitzt denn am Runden Tisch, und hat der Run¬ de Tisch überhaupt die Legitimation, die montäglichen Kundgebungen außer Kraft zu setzen?

Antwort: An dem Runden Tisch sitzen die sieben DDR- weit operierenden oppositionellen Gruppierungen, die fünf etablierten Parteien, der FDGB, der VdgB, der DFD und eine unabhängig© Frauenbewegung. Außer einer dieser Grup¬ pierungen ist zu Beginn der Demonstrationen keine der anderen 15 in Erscheinung getreten. Und da die Demon¬ strationen überhaupt der Ausdruck des Wülens der Bevöl¬ kerung in Leipzig sind, die Zustände endlich in Richtung auf

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»Ost'West-Diskussionsfomm« Ni. 10

Februar 1990

Demokratie zu verändern, detüce ich nicht, daß der Kunde Tisch ein Gremium ist, das über die Fortführung oder den Bestand der Montagsdemonstrationen zu entscheiden irgendeine Legitimation hat.

Frage: Der Runde Tisch scheint keiner demokratischen RonticUe zu unterliegen. Wer hat ihn einbemfen? Wie ist er eigentlich entstanden?

Antwort: Der Runde Tisch hat keine Legitimation von der gesamten Bevölkerung. Er ist entstanden auf Grund des Willens sämtlicher politischen Kräfte ln der DDR. Diese haben sich an einen Tisch gesetzt, um über die zwischen¬ zeitliche Ubergangsphaze bis zu freien und geheimen Wah¬ len wichtige Entscheidungen zu fällen. Die Vertreter des Runden Tisches sind nur durch ihre jeweiligen Organisatio¬ nen, Parteien und Gruppierungen legitimiert.

Frage: Aber der Runde Tisch greift doch jetzt direkt in das politische Geschehen ein. Ist da nicht das Problem gege¬ ben, daß sozusagen Zustände wie vorher wieder einrelBen, wo die SED ohne jede Legitimation die politischen Ent¬ scheidungen gefällt hat?

Antwort: Ich bedauere, daß sich gestern abend manche politischen Kräfte, die weder im September noch im Okto¬ ber an den politischen Veränderungen gearbeitet haben, jetzt das Recht herausnehmen, über die Demonstrationen, die Demonstrationen der Mehrheit der Bevölkerung sind, zu entscheiden. In Bezug auf die Demonstrationen sollte die Bevölkerung insofern Einfluß nehmen, als sie das selbst wie im September macht: Wenn sie es für nötig hält, für ganz bestimmte Ziele zu demonstrieren, dann' sollte sie das tun ohne irgendeine Partei oder Gruppierung zu befragen. Und die »Initiative Frieden und Menschenrechte« wird das Selbstbestimmungsrecht der Einzelnen und der Interes¬ sengruppen unterstützen. Es gebt nicht darum, daß Partei¬ en oder Gruppierungen für die Bevölkerung Politik machen. Es geht zum einen dämm, daß die Bevölkerung die Kultur des politischen Streites ausüben kann, und zum anderen, daß sie sich aktiv in die Entscheidungsprozesse, die sie betreffen, einmischt.

Frage: Eine organisierte Einflußnahme der Bevölkerung auf die Entscheidungen des Kunden Tisches ist also nicht vorgesehen?

Antwort: Die politischen Parteien und Gruppierungen gehen davon aus, daß sie gemeinsam die wichtigsten Inter¬ essen der Bevölkerungsschichten repräsentieren. Insofern schließt dieses Modell aus, daß die Bevölkemng auf einem direkten Weg Einfluß auf die Entscheidungen des Runden Tisches nehmen kann. Es besteht aber die Möglichkeit, daß jeder sich m Gemeinschaft zu einer Interessengruppe zusammenschließt, die am Runden Tisch des Bezirkes ein Rede-, Antrags- und Vorschlagsrecht hat.

Frage: So wie ich gehört habe, gibt es neben dem Runden Tisch noch eine weitere Institution ln Leipzig, die heute direkt politisch in die Entscheidungen eingreift. Das Ist das Bürgerkomitee. Wie ist das entstanden, wie setzt es sich zusammen, und über welche Legitimation verfügt dieses Büigerkomitee? Welche Möglichkeiten hat die Bevölke¬ rung, sich mit Anliegen an dieses Bürgerkomitee zu wen¬ den?

Antwort; Das Bürgerkomitee, was es heute in Leipzig gibt, geht aus seinen Initiativmitglie dem hervor. Das heißt, es haben sich Leute auf Grund zweier Problemfelder zusammengefunden, nämlich des Problems der Korruption und des Amtsmißbrauches, und auf Grund des Problems der Weiterarbeit des Staatssicherheitsdienstes. Die Mit¬ arbeiter dieses Bürgerkomitees bedürfen keiner parteipoli¬ tischen Legitimation. Jeder Bürger kann mitarbeiten. Er muß nur angeben, in welchem thematischen Bereich er mit¬ arbeiten will. Insofern unterscheidet sich das Bürgerkoml- lee vom Runden Tisch.

Frage: Welche Aktivitäten macht das Bürgerkomitee?

Antwort: Das Bürgerkomitee versucht die Umstrukturie¬ rung ln Richtung Demokratie zu unterstützen, anzuregen und zu kontrollieren. D.h. also, es versucht nicht im Gegensatz zum Runden Tisch einen Grundkonsens, eine

Grundabstimmung der politischen Gruppierungen her zu - stellen.

Auf Grund von Einzel- oder Interessenaktivitäten ver¬ sucht es, direkt ln die bestehenden Entscheidungsabläufe einzugreifen. Der alte Apparat besteht weiter, und es gibt hier den großen Streitpunkt, ob die alten Gesetze nicht mehr gelten und ob es sich hier um einen rechts freien Raum handelt, oder ob noch die alten Gesetze weiter gelten. Da gehen die Meinungen sowohl in der Opposition als auch in der Exekutive und Legislative völlig auseinander. Das stellt ein gewisses Problem dar. Aber auf Grund des Zulaufes, den das Bürgerkomitee hat, weil es ein ziemlich hohes Ansehen gerade in der Bevölkerung Leipzigs genießt, hat das Bürgerkomitee einen viel wichtigeren Stand im Leben der Stadt, als beispiel weise der Runde Tisch. Es kann auch handgreifliche Erfolge für die Bevölkerung nach weisen.

Frage: Hat das Bürgerkomitee sozusagen Exekutive und Legislative in einer Hand vereinigt?

Antwort: Nein, das kann man so nicht sagen. Es versucht in die Verwaltungsreform und Umstrukturierung der GeseUschaft, die jetzt von allen politischen Kräften ange¬ stiebt, aber auf Oiund der Bürokratie noch verschleppt tvird, fördernd einzugreifen oder diese gerade erst anzu- regen. Ich denke da z.B. an die Frage der Vernichtimg von Akten. Das betrifft gar nicht so sehr die Staatssicherheit. Als es im Dezember darum ging, die Bezirks Verwaltung zu kontrollieren, da war da nicht mehr so viel zu holen. Das betrifft vor allen Dingen alle Bezirksleitungen der SED, wo vshchtige Akten auch wichtige Wirtschaftsdaten ver¬ nichtet werden, die sowohl für eine zukünftige Landes- als auch DDR-Regierung von Bedeutung wären.

Frage: Das Bürgerkomitee schafft sich doch aber sozu¬ sagen seine eigenen Gesetze und setzt diese gleichzeitig um?

Antwort: Das Bürgerkomitee versucht der Regierung der DDR auf Grund seiner Experten klarzumachen, daß wir eine gesellschaftliche Situation ün Lande haben, die es notwen¬ dig macht, daß sämtliche gesellschaftlichen Kräfte und Ein¬ zelpersonen sofort in die Entscheidungen eingreif en. Und damit dieses nicht im Chaos endet, hat es den Vorschlag unterbreitet - und die Regierung hat ihn akzeptiert daß die Bürgerkomitees in Abstimmung mit einem Beauftrag¬ ten der Regierung. Befugnisse übernehmen. Das heißt ganz konkret, die Bürgerkomitees haben über jede ihrer Aufga¬ ben, die sie gerne durchführen wollen, auch an den kommu¬ nalen Verwaltungen vorbei, vorher hart mit dem jeweiligen Vertreter des Ministerrates bzw. des Ministerpräsidenten darüber zu verhandeln.

Frage: Also das Bürgerkomitee spricht sämtliche seiner Maßnahmen mit einem Vertreter der Regierung Modrow ab?

Antwort: Prinzipiell ja. Es gibt also Aufgaben, die das Bür- gerkonutee durchfühn, die prinzipiell mit der Regierung Modrow einmal abgesprochen worden sind und als Exeku¬ tivaufgaben dem Bürgerkomitee von der Regierung über¬ antwortet worden sind. Es gibt auch spezielle Fälle, die von Mal zu Mal abgespiochen werden müssen. Das Bürgerko¬ mitee hat Ausweise bekommen, um sich aus weisen zu kön¬ nen.

Frage: Also die Staatsanwaltschaft muß handeln, wenn es das Bürgerkomitee verlangt?

Antwort: Wenn für beide Seiten ausreichende Gründe vorliegen, kann das Bürgerkomitee der Staatsanwaltschaft z.B. sagen, daß bestimmte Räume versiegelt werden sollen, um bestimmte Kontrollen durchzu führen. Ich muß hierzu sagen, daß im großen und ganzen das auch ganz problemlos funktioniert, nur in einzelnen Fällen hat sich die Staatsan¬ waltschaft quer gestellt. Dann ist es zu harten Auseinan¬ dersetzungen gekommen. Es ist natürlich auch die Frage gestellt worden, wie auch schon am Runden Tisch, ob das nicht nur alles Scheinspielereien sind, um die Bevölkerung zu beruhigen.

Frage: Hast Du em Beispiel dafür, wo sich die Staatsan¬ waltschaft geweigert hat?

Antwort! Die Staatsanwaltschaft hat sich z.B. geweigert.

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DDR - Interview

im Hotel Merkur Mitte Dezember Räume zu durchsuchen bzw. sogar zu versiegeln. Auf Grund der Erkenntnisse des Bürge rkomitees gab es den Verdacht eines illegalen Kunst* handeis, der über eine holländische Zweigfiima im Auftrag eines ziemlich hohen Parteigenossen der Jetzt sich nennen* den SED-PDS abge wickelt wurde. Das Bürgerkomitee hat Hinweise, daß die beauftragten Staatsanwälte auf Grund von Verbindungen mit der Bezirksleitung die Versiegelung der Räume und die Kontrolle aus ganz bestimmten Interes¬ sen nicht vorgenommen haben.

Frage: Wie war der Fall bei dem StaSi-Gebäude?

Antwort: Wie die Vertreter des »Demokratische Auf* bruchs« und des »Neuen Forum s<( in das Staatssicherheits- gebäude gekommen sind, bleibt für uns im Dunkeln. An dem Abend, wo das geschah, wurde Vertretern der »Initia¬ tive Frieden und Menschenrechte« der Zugang verweigert. Die Initiative wurde dann einen Tag später hinzugezogen. Wir haben don die Erfahrung gemacht, daß die Staatsan¬ waltschaft ün Prinzip so schnell wie sie konnte reagiert hat. Allerdings haben wir auch die Erfahrung gemacht, daß die eigenen Siegel des Bürge rkomitees von unbekannten Per¬ sonen aufgebrochen worden sind. In dem Altbau des StaSi- Gebäudes befand sich so gut wie nichts mehr, außer etwas Schulungsmaterial. Das heißt ganz konkret, daß die ent¬ scheidenden Dokumente schon vorher vernichtet oder ver¬ bracht waren. Insgesamt muß man aber sagen, daß die Arbeit ün ßezlrksgebäude der Staatssicherheit schon einen politischen Erfolg darstellte, weil die Räumlichkeiten nicht mehr für die Tätigkeiten der ehemaligen StaSl nach innen, d.h. gegen die Bevölkerung, benutzt werden können. Für Überwachungs* und Abhörtätigkeiten mußte sich die Staatssicherheit neue Räume suchen. So ist sie zumindest Stark behindert worden in ihrer Arbeit, Das ist ein politi¬ scher Erfolg.

Frage: Aber sie existiert weiter?

Antwort: Die Staatssicherheit existert weiter, und ich weiß von Freunden aus dem Bürgerkomitee und auch von Mitarbeitern der »Initiative Frieden und Menschenrechten in Leipzig, daß sie teilweise wieder beschattet weiden.

Frage: Die Grundstruktur der Staatssicherheit ist also weiter existent?

Antwort: Ob die Grund Struktur so noch weiter existiert, weiß ich nicht. Aber uns liegen Erkenntnisse vor, daß Teile der Staatssicherheit auch die Arbeit nach innen weiter durchführen.

Frage: Ich habe hier von Leuten gehört, daß sich unter dem sichtbaren Staatssicherheitsgebäude noch weitere 5 Stockwerke befinden, die bisher noch nicht untersucht wor¬ den sind. Stimmen diese Gerüchte?

Antwort: Es gibtglaubwürdige Aussagen von Leuten, die beobachtet haben, daß mehrere Stockwerke unter der Erde gebaut wurden. Das ist allerdings nicht unter dem Neubau, sondern unter dem Hofgebäude. Der Eingang könnte even¬ tuell von der Beztrksbehörde der deutschen Volkspolizei ausgehen. Das Bürgerkomitee, das in der Staatssicherheit tätig war. kann nur so viel sagen, daß es von der letzten und der vorletzten Kellersohle des Neubaus keinen Zugang zu weiteren Etagen gibt. Und es ist ja auch heute üblich, daß nicht von der letzten oder vorletzten Kellersohle die Zugän¬ ge zu geheimen Kellern ausgehen, sondern häufig von anderen Objekten oder Räumen aus. Das läßt sich bei der Welt Verzweigtheit im einzelnen nicht nach weisen und weder positiv noch negativ beantworten.

Klar ist es , daß das große Kanalsystem, dessen Beginn ln der Neuzeit angelegt worden ist, in Leipzig für niemanden mehr nachvollziehbar ist. Es sollte mal eine U-Bahn gebaut weiden, und da gibt es eine Menge Schächte. Es hat sich auch ein Maurer gemeldet, der im November einen dieser Zugänge zugemauert hat. Die deutsche Volkspolizei hat sich bis heute geweigert, diesen Zugang zu sichern oder aufzumachen.

Frage: Worauf stützt sich das Bürgerkomitae?

Antwort: Es hat Ende November. Anfang Dezember ver¬ schiedene Aufrufe von Initiativgründungen von Bürgerko- mltees gegeben. Das waren damals noch thematisch orien¬

tiert© Bürgerkomitees, di© unabhängig voneinander ge¬ arbeitet haben. Zur Korruption und Amtsmißbrauch, zur Bil¬ dung von Betriebsräten, zum Gesundheitswesen und zur Staatssicherheit. Da hat es verschiedene Aufrufe gegeben, di© teilweise auch von der mit Lizenzgenehmigimg ausge¬ statteten Kegionalpresse abgedruckt worden sind. Sie fan¬ den eine große Resonanz ln der Bevölkerung.

Frage: Wie arbeiten die Bürgerkomitees?

Antwort: Diese Bürgerkomitees haben jetzt vereinbart, ein zentrales Bürgerkomitee zu bilden, wo alle einzelnen Bürgerkomitees, die es vorher gab, als thematisch mehr oder weniger selbständige Ausschüsse Weiterarbeiten. Dies© sind offen für jeden Bürger, der dort mitarbeiten will.

Frage: Wie groß sind diese Bürger komitees?

Antwort: Das kann man kaum sagen, um die 100 insge¬ samt. Und jeder dieser Ausschüsse hat dann noch seine Gesprachskreise.

Frage: Sind die Betriebe auch durch das Bürge rkomitee erfaßt?

Antwort: Ja, die Betriebe sind teilweise auch erfaßt, die Leipziger Verkehrsbetriebe, die Kixow- Werke... Hier han¬ delt es sich vorrangig um Betriebsräte, aber es werden auch die Fragen der Arbeitsbedingungen diskutiert. Es ist z.B. so, daß in den Leipziger Veikehrbetrieben die Arbeiter arbeitsge setzbuchwidrig Doppelschichten und verlängerte Schichten fahren müssen, oder auch sogenannte Kurz¬ wechsel haben, woraufhin es auch zu Unfällen im Dezem¬ ber gekommen ist. Um diese Probleme rankt sich die Mit¬ arbeit von Leuten direkt aus den Betrieben, von Betriebs- gmpperi-

Frage: Das heißt, die Betriebsräte sind nicht durch das Bürgerkonüte© zusammen gefaßt, sondern es ist sehr unter¬ schiedlich - von Betrieb zu Betrieb—, ob sie am Bürgerkomi¬ tee beteiligt sind?

Antwort: Ja, allerdings ist es so. daß das Bürgerkomitee die Entstehung von Betriebsräten fördert. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß diejenigen, die gute Erfahrungen mit Betriebsräten gemacht haben, diese an andere Betriebe weltergeben und auch helfen, die Hindernisse, die die Betriebsleitungen der Wahl von Betriebsräten in den Weg legen, auszuräumen. Es gibt so eine Art Nachbarschaftshil¬ fe, dem Nachbaischaftskombinat wud geholfen.

Frage: Gibt es einen Zusammenschluß der Betriebsräte?

Antwort: Es gibt nur insofern einen Zusammenschluß der Betriebsräte, daß Vertreter der Betriebsräte in dem Aus¬ schuß des Bürgerkomitees sind. Die tauschen sich dort über ihre verschiedenen Verfassungen, die verschiedenen Pro¬ bleme aus. Es ist aber nicht insoweit spezialisiert, daß es eich auf Wlrtschaftsbeieiche aufteilt.

Frage: Bestrebungen zu einer unabhängigen Gewerk¬ schaft gibt es hier in Leipzig nicht?

Antwort: Bestrebungen zu einer unabhängigen Gewerk¬ schaft gibt es auch in Leipzig, allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, daß die Leute speziell an ihren Interes¬ sen arbeiten wollen, und mit einem allgemeinen Begriff, wie ..unabhängige Gewerkschaften'', der für sie vor Ort nicht faßbar ist, nicht so gut umgehen körmen. So daß ich den Eindruck habe, daß das langsam von unten wächst. Das Ist auch notwendig, wenn man bedenkt, daß jetzt Betrieb¬ steile geschlossen werden sollen, Umsetzungs vertrag© gemacht werden. Die Leute in den Betrieben merken, daß sie, gerade was Doppelschichten und kurze Wechsel anbe- langt. I^ge machen, die selbst von unserem Arbeitsge¬ setzbuch her nicht zulässig sind.

Frage: Eine abschließende Frage; Warum fanden die freien Wahlen nicht sofort statt?

Antwort: Eine schwierige Frage, allerdings habe ich auch noch heute den Eindruck, daß viele die Wahlen zu einem möglichst späten Zeitpunkt woDen, weil sie meinen, für den Wahlkampf noch Zelt zu brauchen. Ich und das ist meine ganz persönliche Meinung - denke, daß die DDR. daß die Länder und daß die Kommunen so schnell wie möglich ©in© durch das Volk legitimierte Regierung brauchen, und ich hoffe, daß die Termine möglichst noch im Aprü und Mai sind. Das Problem ist, daß die Forderung nach freien Wah-

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»Ost-West -Diskussionsforum« Nr. 10

Februar 1990

len da war, bevor Parteien gegründet wurden. Es ist klar, daß die SED daran interessiert war. daß die Wahlen spät stattfinden, weil die Partei in einem desolaten Zustand ist.

Frage: Was sind Deiner Meinung nach die ganz zentralen nächsten Aufgaben?

Antwort: Ich denke, die gesamte Wirtschalts- und Ver¬ waltungsbürokrat ie, die verantwortlich ist für den Zustand dieses Landes, neben einer gewissen Trägheit der Bevölke¬ rung, die es sicher auch gegeben hat, muß schleunigst aus¬ gewechselt weiden. Die Staatsanwälte, die jahrzehntelang ihren Deal mit der Staatssicherheit gemacht haben, müssen entlassen werden und das gleiche trifft auf die Richter- Schaft zu. die nicht Recht gesprochen hat. Das trifft auch auf die Ent Scheidungsprozesse verschleppenden Verwal¬ tungsorgane der Stadtbezirke, der Räte der Städte, der Räte der Kreise, der Räte der Bezirke usw. zu. Erst wenn das pas¬ siert ist, gibt es eine annähernde Garantie, daß Dinge, die ln Arbeit oder angedacht sind für den Aufbau von Demokratie, wirklich umsetzbar und für den Einzelnen an der Basis spürbar werden.

Frage: Warum ist das noch nicht geschehen? Der Wille der Bevölkerung war doch da?

Antwort: Alle Veränderungen sind von oben durchge¬ führt worden, oderauf Grund des Druckes der Bevölkerung. Der Organisationsgrad der Bevölkerung hat noch nicht aus¬ gereicht, um sich gegen die Bürokratie durchzusetzen, d.h. sie zu entmachten.

Frage: Das heißt doch, daß im Zentrum die Frage nach der Organisierung der Bevölkerung steht?

Antwort: So ist es. das denke ich auch.

Presseerklärung oppositioneller Gruppen zur Montagsdemonstration

Entgegen den Absprachen am Runden Tisch des Bezirks vom 2. 1. *90. künftig zur traditionellen Montag sdemonstra- tion auf eine Kundgebung zu verzichten, haben eich die oppositionellen Gruppen Initiative für Frieden und Men¬ schenrechte, Neues Forum, SDP entschieden, so schnell wie möglich wieder Ansprachen auf dem Kail-Marx -Platz zu organisieren und selbst zu gestalten.

Der Grund für diese gewandelte Entscheidung ist die Kampagne der SED, vor aUem im »Neuen Deutschland« und in der »Aktuellen Kamera«, die oppositionellen Gruppen durch eine nachteilige Berichterstattung zu verunglimpfen und sich selbst unangemessen breit und einseitig in den Vordergrund zu schieben. Wir waren der Ansicht, daß die Demonstration am Montag nicht der geeignete Ort für den Wahlkampf ist, die SED zwingt uns aber durch ihr Vorgehen zum Handeln.

Wir appellieren an dieser Stelle noch einmal emdiinglich an alle, den zu erwartenden Wahlkampf ausschließlich mit friedlichen, gewaltfreien Mitteln zu fuhren. Angriffe gegen Minderheiten auf der Demonstration halten wir für sehr bedenklich und dem gemeinsamen Ziel einer demokrati¬ schen. pluralistischen Gesellschaft für abträglich, Wii wer¬ den unser Ziel, das Machtmonopol der SED zu brechen, nur erreichen, wenn die Montagsdemonstration ihren aus¬ schließlich friedlichen Charakter behält und alle Panik*

mache der SED gegen eine rechte Gefahr, die die Restaura¬ tion des Sicherheitsapparates rechtfertigen soll, ins Leere greift.

Protestdemonstration vor dem Stasi -Gebäude in Leipzig:

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DDR - SPD

Bericht von der SPD-Delegiertenkonferenz

Wir fordern unsere Hand aus dem Parteiabzeichen zurück

Oi€s war das erste Motto der Delegiertenkonferenz der Soziafde- mokraten in der DDR vom 12. bis 14.1.19S0 in der Kongreßhalle am Alexanderpidti in Berlin , unter tosendem Beifall von der alten Rostocker Genossin Kate Waltemath am ersten Tag den Delegierten zugerufen.

Dieser Ruf symbolisiert den Willen der Delegierten, nicht nur aus der Umklammerung der SED auszubrechen sondern auch ihre Macht io den Wahlen zu brechen. Hatte der Vorstand noch kurz vor der Konferenz vorgeschlagen, ein Wahlbündnis der sechs neuen politischen Gruppierungen SDP. Neues Forum, Demokratischer Aufbruch, Demokratie jetzt, initiative frieden und Menschenrechte und Vereinigte Linke zu bilden, um die Kraft zu haben, die SED in den Wahlen zu schlagen, so sind die Delegierten einen anderen Weg ge¬ gangen. Sie schlossen eine Listenverbindung mit anderen Parteien und Gruppierungen grundsätzlich auS; wenn sie auch keinen Wahlkampf gegen die neu entstandenen demokratischen Gruppen fuhren wollen, mit denen sie aus der Zeit der Illegalität verbunden sind. Eine Koalitionsaussage wurde nicht getroffen außer der Selbstverständlichkeit, daß eine Koalition mit der SED grundsätzlich ausgeschlossen ist Die Frage nach einer eventuellen Koalition mit

bürgerlichen Kräften blieb in der Diskussion kontrovers und wurde nicht entschieden.

Beschluß zur Koalitionsfrage

angenommen von der Delegiertenkonferenz der SPD am 11 1. IddO

Wir bekräftigen unsere Absicht gemeinsam mit der demokrati¬ schen Opposition im Wahlkampf dafür einzutrelen, daß die SED durch den Willen des Wählers entmachtet wird.

,Wir wollen mit den anderen demokratischen oppositionellen Gruppen und Organisationen in engem Kontakt bleiben und gegen sie keinen Wahlkampf führen. Das ist auch wichtig für die Arbeit am runden Tisch.

Eine klare Bündnisaussage kann erst durch den ersten Parteitag oder nach ihm erfolgen.

Eine gemeinsame Liste kommt für uns nicht in Frage!

Als Koalitionsaussage ist jetzt definitiv nur eine möglich: Keine Koalition mit der SED.

Wir Sozialdemckraten bekennen uns zur Einheit der deutschen Nation

So beginnt die deutschlandpolitische Erklärung. Während die Erklärung des Vorstands vorderKoiferenz weitergeht mit der Aussage Sie muß von beiden deutschen Staaten gestaltet werden,

vi/urde die Konferenz hier viel konkreter. In der einstimmig beschlossenen Erklärung heißt es nach dem ersten Satr

Ziel unserer Politik ist ein geeintes Deutschland. Eine sozialdemokratisch geführte Regierung der DDR wird die notwendi¬ gen Schritte auf dem Weg zur deutschen Einheit in Abstimmung mit der Regierung der Bundesrepublik Deutschland gehen. Was sofort möglich ist, soll sofort geschehen.

SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands (ohne Zusatz)

Unbestrittener Höhepunkt der Konferenz war zweifellos die Abstimmung überden Namen der Partei. Der Wunsch nach einem einheitlichen Namen der deutschen Sozialdemokratie spielte in den meisten Bosisgruppen von Anfang an eine große Rolle. Die Kollegen aus den Betrieben, die Bürger aus den Stadtvierteln strömten beim ersten Nachlassen der Repression in ihre sozialdemokratische Partei, die für sie die Partei Bebels aber auch die Partei Willy Brandts ist. Die Vertauschung der Buchstaben im Namen, SDP, wurde als so störend empfunden, daß etliche Basisgruppen sich von Anfang an SPD nannten, üm die Frage zu klären, wurde eine Vorabstimmung Ober den Namen anläßlich der Delegiertenwahl organisiert. Oie überwältigende Mehrheit der Mitglieder in den Basisgruppen votierte für SPD, weil sie den Gedanken an eine Trennung oder gar Spaltung der deutschen Sozialdemokratie nicht ertragen konnte - hatte doch der von den Besatzungstruppen 1945 erzwungene getrennte Aufbau der SPD in den Zonen es den Stalinisten erleichtert sich den Ostteil der Partei, damals mehr als 500000 Genossen, einzuverleiben.

Die Delegiertenkonferenz beschloß gegen nur 6 Stimmen, bei 24 Enthaltungen den einheitlichen Namen SPD - Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Markus Meckel vom Vorstand und einer der Gründerväter beantragte, dem Namen den Zusatz DDR. wenn auch in Klammern, hinzuzufügen, was jedoch mit Zurufen "ohne Zusatz* zu- ruckgewiesen wurde.

Als erater nach dieser Abstimmung sprach Egon Bahr, der zuvor schon mit minutenlangem Beifall, der in stehende Ovationen über¬ ging, begrüßt wurde. Er kennzeichnete diese Abstimmung als eine historische Abstimmung nicht nur für die Geschichte der Partei son¬ dern auch für

die Geschichte Deutschlands. Er schlug außerdem eine Konföderation der beiden SPDs vor und sicherte - wie die anderen Vertreter der SPD aus Westdeutschland Umfangreiche Hilfe zu. Dies ist im beginnenden Wahlkampf bitter nötig, hat doch die SPD bis heute nicht einmal eine Wochenzeitung oder ein Informationsblatt für Mitglieder, während die SED nach wie vor den Zeitungsmarkt Ostdeutschlands beherrscht

Doch es gab auch ungelöste Probleme:

Maikus Meckel sagte in seiner großen programmatischen Rede am letzten Tag, daß die Sozialdemokratie nichts verheimlichen wolle und vertrat die Auffassung, daß es in jedem Fall Arbeitslosigkeit geben

werde, wenn westliches Kapital In den Kombinaten investiert wird. Er trat fOr ein nicht naher bezelchnetes Arbeitsbeschaffungspro- gramm und für die Bildung einer Arbeitslosenversicherung ein. Der letzte Vorschiog bedeutet jedoch, daß die Arbeitslosigkeit eine Dauereinrichtung wird. Hierzu gab es auf der Konferenz auch andere Stimmen. Es wurde von der Partei eine konsequente Arbeitnehmerpolitik verlangt, die Unterstützung von starken und un¬ abhängigen Gewerkschaften zur Kontrolle der Verhandlungen mit westdeutschen Unternehmen und zur Sicherung der Interessen der Kollegen.

Die Konferenz hat eine politische Perspektive zur Brechung der Macht der SED gegeben der Parteitag vom 22. bis 28. Februar in Leipzig muß diese Perspektive in die Betriebe tragen und ein Wahlprogramm verabschieden, daß die Arbeiterinteressen vertritt und die Perspektive der Einheit Deutschlands durch das Programm für eine Arbeiterregierung in ganz Deutschland konkretisiert.

Horst Uebelgünn

:ErkIärung zur deutschen Frage

angenommen von der Delegiertenkonferenz am 14. 1. 1990 in Berlin

Wir Sozialdemokraten bekennen uns zur Einheit der deutschen Nation. Ziel unserer Politik ist ein geeintes Deutschland. Eine sozialdemokratisch geführte Regierung der DDR wird die notwendigen Schritte auf dem Weg zur deutschen Einheit in Abstimmung mit der Regierung der Bundesrepublik Deutschland gehen. Was sofort möglich ist. soll sofort ge¬ schehen. Eine sozialdemokratische Regierung wird einen Wirtschafts* und und Währungsverbund als vorrangige Aufgabe in Angriff nehmen. Alle Schritte des deutschen Einigungsprozesses müssen in den gesamteuropäischen Einigungsprozeß eingeordnet sein. Denn wir wollen die deut¬ sche Einheit nur mit der Zustimmung aller unserer Nachbara Ihre Grenzen sind für uns unantastbar. Wir erstreben eine eu¬ ropäische Sicherheits* und Friedensordrtung. Wir sehen dabei für uns die besondere Verantwortung, den Demokratisie- rungsprozeß und die wirtschaftliche Erneuerung in Osteuropa zu fördern

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»Ost-West-Diskussionsforumtf Nr, 10

Februar 1990

Interview mit Eveline Heinemann

(Hinweis der Redaktion: Eveline Helremann ist Vorsitzende des SPD-Krelses Berlin*Lichtenberg>

Frage: Die SPD hat einen Vertreter in die Regierung Modrow entsandt was ist Deine Position dazu?

E.H.: Wir hatten auf der Landes-delegiertenkonfe- renz eigentlich uns deutlich abgegrenzt und gesagt, Eintritt in die SED-Regre-rung erst unter den Umständen, daß eindeutig die Verantwon-lichkeit geklärt wird und nur unter der Bedingung, daß die SED Konkurs in weitestem Sinne anmeldet. Ich bin also der persönlichen Meinung, daß ein Eintritt jetzt unter den noch nicht geklärten Bedingungen falsch ist. Oie SED hat die wichtigsten Ministerposten nach wie vor besetzt und nach wie vor stellen sich ln weitestem Sinne bezeichnende Skandale heraus, siehe auch jetzt die ehemalige Finanzmlnisterin. Damit schwindet das restljche Vertrauen. Bevor nicht eine eindeutige Abgrenzung ist, die bis in die mittlere und untere Ebene geht, wo ja der Mechanismus SED immer noch wunderbar funktio¬ niert, sollte man nicht in der jetzigen Phase in die Regierung mit einsteigen. Die Schuldfrage steht nachher: Auch du warst beteiligt.

Die Notlage, die zur Zeit in der DDR-Wirtschaft herrscht, müßte auch mit ganz eindeutigen Worten von unserer Regierung formuliert werden. Entweder wir legen komplett die Arbeit nieder und besetzen neu oder aber wir führen das, was wir an¬ gefangen haben, die übertragene Verantwortung, mindestens wie ursprünglich avisiert, bis zum 6. Mai zu Ende. Auch mit der jetzt vorgezogenen Variante der Wahlen ist nach meiner Meinung kein guter Treffer gelandet. Alle anderen Gruppen, wel¬ che sich noch immer fächerartig entfalten, haben nicht die Möglichkeit, sich in Irgendeiner Form ein¬ zubringen, weil die Zeit einfach nicht ausreicht- Auch die SPD hat zwar eine grobe Formulierung ihres Programmes und hat auch Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit bestimmten Ressorts be¬ schäftigen aber um einen echten Wahlkampf führen zu können, müssen wir jetzt tagtäglich die gesamte zur Verfügung stehende Freizeit einsetzen, damit wir auch tatsächlich bürgernah sind, wissen, was will unser Volk und wie sieht die SPD da eine Möglichkeit, rauszukommen- Jetzt ln den drei Wochen bis zu den Wahlen haben wir sowieso keine Chance, etwas zu verändern und nach den Wahlen stehen wir vor gewaltigen Aufgaben, die wir wo¬ möglich auf uns allein gestellt, falls wir die Wahlen gewinnen, auch nicht lösen könnert. Wir brauchen da sicherlich Unterstützung von der SPD anlei¬ tungsmäßig ohne eine Umklammerung von der westlichen Seite oder aus dem Potential der DDR- Bürger, die sich bis dahin nicht politisch engagiert haben, damit das Vertrauen, das uns jetzt als Vorschuß entgegengebracht wird, auch In irgendei¬ ner Form gerechtfertigt ist.

Die Form der angestrebten Linie der Einheit Deutschlands sehe ich unter der Bedingung, daß unsere Wirtschaft jetzt völlig am Boden ist, und daß wir soziale Bedingungen, die wir hätten irgenwann noch stellen können, jetzt als Anliegen des DDR- Volkes gar nicht mehr einbringen können in Form einer Wiedervereinigung oder Einheit Deutschlands und unsere Position wird In dieser Richtung, je län¬ ger die Regierung nicht voll handlungsfähig ist, im¬ mer kritischer.

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Frage: Es ist an2unehmen, daß die SPD die Wahlen am 18. März gewinnen und die Regierung stellen wird. Welche Aufgaben hältst Du für vorrangig für eine SPD- Regierung in der DDR?

E.H.: Ich bin erstmal der Meinung, daß eindeutig gesetzliche Veränderungen in Kraft treten müssen, daß der Werktätige sein Recht auf Arbeit haben muß. Daß das irgendwo verankert wird, daß in die¬ sem Zusammenhang auch die Gewerkschaft oder, wenn wir sie anders nennen wollen, die Betriebs¬ räte wichtige Funktionen einnehmen, damit wir die soziale Stellung, die unsere Leute haben, in irgend¬ einer Form halten können. Ich bin aber auch der Meinung, daß man zielstrebig auf die Einheit der Nation hinarbeiten muß aber daß das nicht eine Sache über Nacht sein kann sondern vertraglich vorher unter bestimmten Bedingungen abgestimmt werden kann, damit die Leute auch sehen, es geht aufwärts.

Frage: Wie soll die Ausgestaltung der Einheit Deutschlands durch eine SPD-Regierung in der DDR aussehen?

E.H.: Ich würde denken, es bedarf auch in dieser Richtung eindeutiger vertraglicher Grundlagen, die jeder von seiner Seite aus einbringt, und die man gemeinsam, also wenn beide Staaten diese Einheit auch tatsächlich wollen, dann abstimmt, was ist gewährleistet, was ist das Positive aus der Bundesrepublik und muß oder kann übernommen werden und welche Dinge sind in der DDR, speziell in der sozialen Seite, positiv und müssen unbedingt erhalten bleiben. Für mich persönlich steht auch die Frage des Grund und Bodens, das ja mit das Einzige, was hier noch nicht zur Diskussion stand. Es gibt ja diverse Grundstücke, die in Treuhand¬ schaft sind, da betrifft es viele Leute, die wissen wollen, wenn wir die Einheit haben, was passiert damit. Ist das alles jetzt an die ursprünglichen Besitzer abzutreten?

Dann ist für mich auch interessant, wie können wir so schnell wie möglich unsere Währung konvertier¬ bar machen? Welche Varianten gibt es da? Ist eine Abwertung unseres Geldes vorausrusehen? 40 Jahre lang haben wir unter den Bedingungen ge¬ lebt. daß unsere Währung nicht konvertierbar war. Wir wollen natürlich jetzt auch ein bißchen an den Lebensstandard ran. Der westliche Bürger muß also einen Schritt zurücktreten, damit sein Nachbar ein wenig vorankommt und von der Seite sehe Ich da euch noch Probleme auf uns zukommen.

Frage: Wen siehst Du hauptsächlich als Ansprechpartner der SPD unter den Kräften der Bundesrepublik im Hinblick auf die Vereinheitlichung des Landes?

E.H.: Ich würde Schmidt sehen, ich würde eventuell auch Vogel sehen, SPD, nicht so sehr Lafontaine, weil er mir doch etwas sehr kritisch erscheint und ich als Berlinerin stehe natürlich auf Willy Brandt! Frage: Welche Position siehst Du bei Lafontaine kritisch?

E.H.: Er blockt jetzt erst mal die Übersiedlerei ab, was ja rum einen richtig ist, unser Volk rennt ja weg und wir müssen es irgendwo aufhalten, aber ich bin der Meinung, indem ich soziale Abstriche mache, damit halte ich den Prozeß auch nicht auf.

DDR - Geschichte

Auszüge aus der Rede der Rostockerin

Käthe Woltemath-Krogmann auf der Berliner Delegiertenkonferenz der SPD in der DDR zur Zwangsvereinigung 1946 (fr, 23. 1. 1990)

Die Sozialdemokraten der Stadt und des Kreises Rostock haben mich beauf- traft Euch allen die herzlichsten Grüße, verbunden mit futen Wünschen für das erfolfreiche Gelingen dieser Delegierten¬ konferenz zu überbHngen. Das tue ich voller Freude, denn wem das Herz so voll Ist dem fließt der Mund über.

Fast 30 Jahre durfte ich nicht zu den Menschen gehen, jedenfalls nicht mit po* litischen Absichten, denn ich wurde als Feind der SED und der DDR beim Staatssicherheitsdienst geführt ( « , » ]

10. Dezember 1953 von der Kripo, verhaf¬ tet

Mir wurden sofort zwölf Jahre Zucht¬ haus angedroht Wegen Bildung einer Wi¬ derstandsgruppe Naumann, Kontakte zum Berliner Ostbüro. Hetze usw. Der In¬ haftierungsgrund für meinen Mann war. er habe sein Vermögen nach West- Berlin verschoben mit dem Ziet die DDR zu vtr- lassea Ich will hier nur sagen, nichts von dem allen hatten wir getan. Aber aus den U* Haftanstalten wurde niemand als Un¬ schuldiger entlassen.

Ich habe nichts gestanden, was ich nicht zu verantworten hatte. Standhaft zu bleiben, war nicht leicht leb habe es g^ schafft So konnte man kein Geständnis von mir benutzen, um mich für zwölf Jahre wie angedrobt ~ verschwinden zu lassen.

Von allen Beschuldigungen blieb Übrig: Hetze gegen leitende Fiktion are. Es wa¬ ren al^r Wahrheiten, die ich auch den Betreffenden selbst gesagt hatte, wie Selbstmordversuche von betrogenen Ehe¬ frauen, Ausschluß von alten verdienten

1946 fanden wir uns zunächst mit der Vereinigung ab. Wir trösteten uns damit, daß wir ja so viele waren und die KPD viel weniger Mitglieder eingebraebt hätte und so würden wir unsere sozialdemo¬ kratischen Impulse schon ausstrahlen können. Zunächst wurden ja .ille Leitun¬ gen und Institutionen paritausch besetzt Das dauerte ca. nur ein Jahr, dann waren fast überall die Sozialdemokraten schon aus de n Leitungsgr etnien herausge¬ bracht und Albert Schultz war in Ro¬ stock bis 1949 auch der letzte Oberbür¬ germeister aus der früheren SPD. wenn ich mich recht erinnere. ( . ^ ^ )

Am 5. Dezember 1958 wurde ich vom Staatssicherheitsdienst mein Mann am

Auf der Berliner Delegiertenkonfe¬ renz der Sozialdemokraten In der DDR hielt die knapp siebzigjährige Rostockerin Käthe Woltemath-Krog¬ mann eine Rede, bei der den Zuhö¬ rern die Tränen in den Augen stan¬ den. Sie erzählte ihre eigene Ge¬ schichte und malte dabei gleichzeitig die Geschichte ihrer Partei In der DDR ^ insbesondere seit der „Zwangsvereinigung*.

Die Zwangsvereinigung von SPD und KPD in der SBZ

-Dokumentation-

Die politische Bedeutung der „Zwangsvereinigung“

Die „Zwangsvereinigung*' muß vor allem als Zerschla¬ gung der freien unabhängigen Organisierung der Arbei¬ terbewegung in der SBZ, sowie als der „erste große Schritt zur Spaltung Deutschlands charakterisiert wer¬ den.

Als am 21. und 22. April 1946 507 EPD-Delegierte und 548 SPD-Delegierte in Berlin im Admiral spalast aiaf der Frledrichstiaße zum „Vereinigungsparteitag*' zusam¬ mentrafen, repräsentierten sie ca. 600 000 KPD-Mitglie- der und 681 000 SPD- Mitglieder in der Sowjetischen B e satzungs zone .

Ulbricht sprach von einer „Neugebuit der deutschen Arbeiterbewegung". Doch wie die Dokximente zeigen, mußte diese Vereinigung gegen den Widerstand der Sozialdemokraten erzwungen werden; dieser Akt wurde begleitet von der Verfolgung und Verhaftungen Tausen¬ der Sozialdemokraten und der Liquidierung der sozialde¬ mokratischen Organisation in der SBZ.

Damit wurde die Hoffnung vieler Sozialdemokraten und Kommunisten, die gemeinsam im Widerstand gekämpft hatten oder gemeinsam in den KZs eingeker¬ kert waren, 1945 mit dem Aufbau einer einheitlichen Arbeiterpartei endlich die Spaltung der deutschen Arbei¬ terbewegung überwinden zu können, zerschlagen.

Schon im Juni 1945 waren überraschend durch die sowjetische Besatzungsmacht die SPP und die KFD als getrennte Parteien zugelassen worden, Die Angebote der SPD, sofort eine einheitliche Arbeiterpartei zu bilden, lehnte die KPD ab. Im Herbst 1945 schwenkte dann die KPD auf den neuen Kurs der Vereinigung mit der SPD ein. Das war eine Reaktion auf die Tatsache, daß die SPD eine breite Massenbasis behaupten konnte, während die KPD vor allem durch die Übergriffe der sowjetischen Besat¬ zungsmacht auf die Bevölkerung zunehmend diskredi¬ tiert war.

Die im April 1946 erfolgte Zwangsvereinigung und die Spaltung Deutschland führten schließlich zu einer noch tieferen Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung als vor 1933 {*).

Diese Dokumentation ist zu beziehen Uber: Ost-West-Gesellscheft e.V., Stemstr. 50; 4000 Düssel¬ dorf, und kostet 4,- OM / 4,- M.

(*) Die OppositionsgruppederSPD brachte Flugblätter heraus, in denen hieß es: ».Haltet feet an den einmal gefaßten EntachJüs*

sen. Sie heißen nach wie vor: Keine VerscJimeizung ohne Partei¬ tag im Reichsrehmen! Keine Zerreißur^g DeutechJandsf Keine Zeireißung der SPVf "

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Oet-West -Diskussionsforum« Nr. 10

Februar 1990

Mitgliedern unter lügenhaften Beschuldi* gungen usw. Dafür bekam ich 15 Monate Gefängnis.

Aus dem Zuchthaus Bützow wurde ich 1960 als Invalide entlassen. Mein Prozeö wurde drei Tage lang als Schauprozed durchgeführt 200 Karten waren verteilt worden. Oie Bevölkerung hatte nicht Ruhe gegeben und verlangte den ÖffentU* chen Prozeß. Mit den vorgenaimten lü« gen haften Beschuldifungen wurde ich schon einen Monat nach meiner Verhaf¬ tung aus der SED ausgeschlossen, ob¬ gleich der Prozeß später ergab, daß ich zu unrecht in diesem Umfang beschuldigt worden war. ^ j

Laßt mich nun aus der Rostocker Sicht zu Buch sprechen. Nach 44 Jahren ist es das erste Mal. daß sich Sozialdemokraten in der DDR mit ihren trotz Terror und Zwangsvereinigung nicht erkalteten Her¬ zen ganz wieder einbringen können in die Verantwortung um das .weitere Schicksal unseres Volkes hier in diesem, unserem Land. Heute aber sind es über¬ wiegend die Töchter und Söhne sowie die Enkelkinder der Sozialdemokraten von vor 1933, als unserer Partei schon einmal das Ijebenslicht ausgeblasen und ihren Mitgliedern Verhaftung und Tod angetan wurde.

1945 war es kaum faßbar und zugleich erschütternd, wie viele Menschen in die wiedergegründete SPD in der damaligen sowjeUschen Besatzungszone bereits in den ersten Wochen eintraten. Es lagen zwölf Jahre Naziterror und Parteiverbot mit unendlichen Opfern und der Zusam¬ menbruch des Hitlerstaates mit dem En¬ de des sechs Jahre dauernden völkermor¬ denden Krieges hinter unserem Volk. Der Mitglieder Zustrom zur SPD hielt unver¬ mindert an. Von uns erwartete man. daß wir eine gerechte soziale und dexnokrati* sehe Republik mit allen gutwilligen Men¬ schen zusammen errichten würden. Das alles beobachtete die sich ebenfalls wie¬ der formierende KPD mit Besorgnis. Sie sah ihre Felle wegschwimmen. So würde es mit der geplanten Machtübernahme nichts werden. Also mußte die SPD weg, sie war hinderlich, sie stand im Wege. Tapfer haben sich die Sozialdemokraten zunächst noch den vorsichtig geäußerten Wünschen und Empfehlungen zum Zu¬ sammenschluß mit der KPD zur Wehr ge¬ setzt Auch die SPD sah die Notwendig¬ keit dieses Zusammenschlusses ein, woll¬ te jedoch eine einheitliche Entscheidung in den vier Besatzungszonen herbeige¬ führt haben. Die SPD-Mitglieder sahen in Rostock prophetisch voraus, daß der in der sowjetischen Besatzungszone allein durchge^hrte Zusammenschluß das En¬ de der Sozialdemokratie in diesem Teil Deutschlands bedeuten würde.

Das Verhältnis der Mitgliederzahl war auf 1;3 angewachsen, d. h., ein Kommu¬ nist, drei Sozialdemokraten. Nach Willen der KPD mußte jetzt vereinigt werden. Die KPD nahm die Unterstützung der so¬ wjetischen Besatzungsmacht ohne Ge¬ wissensbisse ihren Klassen brüdern in der SPD gegenüber in Anspruch.

Es wurde mit Schuldzuweisungen gear¬ beitet. indem man die Sozialdemokraten beschuldig, den Machtantritt Hitlers mit herbeigeführt zu haben, weil sie sich Ende der Zwanziger. Anfang der Dreißi¬ ger Jahre der Vereinigung widersetzt hatten. Jetzt müsse sie diesen schbmmen Fehler wieder gutmachen, denn die Zu¬ kunft Deutschlands erfordere das.

Die Zeit drängte. Am 6. Januar 1946 führte die SPD in Rostock im Stadtthea-

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ter eine große Mitgliederversammlung durch. Die Mitglieder der Hostocker SPD Willi Jesse. inzwischen Landessekretär in Mecklenburg-Vorpommern. Albert Schultz, Alfred Starosson, Heini Beese u. a. hatten nächtelang nach einer vorsichti¬ gen aber dennoch klaren Formulierung für die ablehnende Resolution gesucht Die mir noch heute in vollem Wortlaut vorliegende Resolution wurde am 6. Ja¬ nuar 1946 im Stadttheater Rostock ein¬ stimmig angenommen. Warum vorsichtig formuliert? Weil sowjetisch« Offiziere an dieser Großversammlung teilnahmen.

Trotzig und fest klang zum Schluß un¬ ser Lied „Brüder in eins nun die Hände** durch das Theater. Die Hände fanden I sich, hielten fest und wollten nicht loslas- ( sen. Doch wie bald wurden sie für lange Zeit bis in diese unsere Tage hinein ge¬ löst Jetzt noch einmal das Aufbegehren wagen, noch einmal am 16. 3. 1946 die große Mitgliederversammlung, noch ein¬ mal die Resolution. Jetzt gehörte noch mehr Mut zu diesem Tun. Die ersten Ver¬ haftungen wurden bekannt

Rostock versuchte, ein Zeichen zu set¬ zen, wollte Zeit schaffen für düe Urab¬ stimmung in allen vier Besatzungszonen, für Berlin Flagge zeigen, aber wo blieb der Zentralausschuß, die Urabstimmung, wo blieb Otto Grotewohl? Die Partei lebte zwischen Hoffen und Bangen, alle Ent¬ scheidungen auf höherer Ebene blieben aus. Jetzt ging es im Zeitraffertempo. Der Druck wurde verstärkt In vielen Orten des Landkreises berief der Ortskomman¬ dant der Roten Armee die Versammlun¬ gen ein. Die Abstimmung wurde hier vor¬ ab getroffen, wie konnte sie anders als mit Ja au sf allen.

Wieder folgten Verhaftungen. Anfang April 1946 tagte in einem kleinen Kino ln Schwerin die Landesdelegiertenkonfe¬ renz der SPD. Sie wurde von Willi Jesse geleitet, der jetzt Landessekretär war. Hermann Lüdemann durfte nicht mehr politisch tätig sein.

Die KPD hatte am gleichen Tage in Schwerin ihre Delegiertenkonferenz. Mit ihren wenigen Delegierten tagte sie im großen Staatstheater. Aber das alles war schon ohne Bedeutung. Der Zentralaus¬ schuß in Berlin war umgefallen, die Schlacht um das Überleben der SPD war verloren. Mit Gesang und Fahnen, in einer filmreifen Inszenierung marschier¬ te die KPD in das Kino, also bei der SPD- Delegiertenkonferenz, ein.

Die Vereinigung wurde durchgeführt Wieder „Brüder in eins nun die Hände**, nur die KPD sang. Trinen in den A\igen die SPD-Mitglieder, sie sorgten sich um ihre Partei und deren Mitglieder. Sie weinten, auch vor Wut und Ohnmächtig- keit Die KPD jubelte. Willi Jesse machte den Fehler, es nicht zu tua Damit war sein Schicksal besiegelt Zweieinhalb Mo¬ nate später wurde er auf offener Straße in Rostock weggefangen und kam nach acht Jahren als gebrochener, todkranker Mann aus Sibirien zurück.

Heini Beese wurde später, wie auch Al¬ bert Schultz und viele, viele andere in den Jahren 1947 und später, verhaftet Sie befanden sich, wenn nicht in Sibirien, dann in Bautzen. Unter welchen qualvol¬ len Bedingungen sie dort gelebt gelitten haben und gestorben sind, ist dem Brief zu entnehmen, der im Auftrag von 6000 Gefangenen aus Bautzen im Mai 1950 an die SPD in der Bundesrepublik gerichtet wurde. Herbert Wehner hat ihn im Mai 1950 in Hamburg auf dem dortigen Par¬ teitag verlesen. Es gibt wohl kaum ein

Dokument welches so erschüttert wie dieses. Und zugleich ist es auch die härte¬ ste Anklage gegen die SED und ihren ge- waltätigen Machtapparat Als dieser Brief aus Bautzen in Hamburg eintraf, natürlich auf Umwegen, waren IS QOO Menschen im Laufe der vorausgegange¬ nen Jahre dort schon an Hunger, Tuber¬ kulose, Kälte und Prügel verstörten. Einer der wenigen, die diese Hölle über¬ lebt haben, war Heini Beese. Sechs Jahre, davon 30 Monate in Einzelhaft hat er dort zu gebracht Diese Schicksale mögen für viele stehen.

Dies allein genügt schon, all das andere Schreckliche an weiteren Verbrechen und Vergehen, das in letzter Zeit aufge¬ deckt wurde noch dazu genommen, um sich voller Abscheu von der SED abzu¬ wenden. Ich selber und mein Mann ha¬ ben Ja die Haftbedingungen beim Staats¬ sicherheitsdienst und in den Voltzugsan¬ stalten, aber auch ihre Arbeitsmethoden, persönlich kennengelernt Ich weiß also, wovon ich rede.

Deshalb fordere ich in Ubereinstixxi- mung mit unseren Mitgliedern in Ro¬ stock von Herrn Gysi, also von der SED-PDS, aus dem Parteiabzeichen der SED unsere Hand, die Hand der Sozial¬ demokraten, zurück. Wir sind nicht mehr ein Teil der Einheitspartei, davon haben wir uns freigemacht 44 Jahre hat man unsere Hand festgehalten, damit wir nicht existieren konnten. Nun ist es ge¬ nug!

Wir lassen uns nicht mehr und auch nicht wieder umarmen. Die Umarmungen der Kommunisten sind für so viele von uns tödlich gewesen.

Herr Gysi, warum suchen Sie für Ihre Partei nicht einen anderen Namen? Sie bezeichnen sich doch bei jeder Gelegen¬ heit als Kommunisten. Warum nennen Sie sich dann nicht auch so? Sic geben vor, sozialdemokratische Traditionen zu bewahren, welche denn? Wir haben nicht gemordet, octrogen und unser Volk bis an den Ruin gebracht Sie haben kein Recht jetzt auch noch unsere Wurzel, die ist seit Gründung der SPD 1875 inzwi¬ schen IIS Jahre alt für sieh zu verein¬ nahmen. Das konnten Sie ja schon im¬ mer gut in jeder Beziehung das Ver¬ einnahmen. Aber jetzt ist damit Schluß.

Wir werden Sie daran hindern, noch einmal unser Volk und unser Land unter Ihre Knute zu bringen. Das haben Sie doch vor ^ oder?

Warum drängt es mit dem Verfas¬ sungsschutz so? Warum werden die Kampfgruppen erst im Juni aiifgelöst? Sollen die alten Machtinstrumente in ih¬ ren Startlöchern bereit stehen bis zum 6. Mai? Wofür sollen sie dann dienen?

Aber dieses Mal werden wir die Pläne der SED durchkreuzen. Das wird unseren ganzen Einsatz erfordern. ( . . )

Jawohl, so Ist es! Darum treten wir aa Aber warum nicht unter dem alten ehrli¬ chen Namen Sozialdemokratische Partei in der DDR, also SPD. Warum die andere Abkürzung SDP, die niemandem geläufig ist und nur zu Irritationen führt Die Mit¬ glieder in Rostock fordern, das sofort zu ändern. Wir sind die SPD, die saubere ehrwürdige, traditionsreiche Partei der Sozialdemokraten in Deutschland. Diesen Namen wollen wir hüten als ein Ver¬ mächtnis all derer, die dafür lebten und starben. Nehmen wir das Banner, das un¬ sere Vorväter und zum Teil wir ja noch selbst 1946 zum zweiten Mal innerhalb von 57 Jahren niederlegen mußten, nun stolz wieder auf und halten es in den Wind. (...)

DDR - Berichte und Diskussion

Warum die politischen Monopole in Osteuropa wie die Fliegen sterben oder:

Die Zeit ist reif!

In den letzten osteuropäischen poli¬ tischen Monopolen zeigen sich ernste Risse, aus denen lang Verborgenes und immer wieder unter den Tisch Ge¬ kehrtes empoisteigt. Korruption, MachtraiJlbrauch, Mißwirtschaft, Pri- vilegientum, Fiinktionärsfilz, Geset¬ zesbrüche das alles wird deutlich und steht im krassen Widerspruch zu dem Büd, daß noch vor kurzem voniln- formationsmonopol der kleinen Par¬ teiadelsschicht verbreitet wurde. Die heile Welt stürzt zusammen. Der Par¬ teiadel hat jedes Vertrauen bei der Be¬ völkerung eingebüßt. Er verliert seine in den Verfassungen der kommunisti¬ schen Lander festgeschriebenen Vor¬ herrschaft sprivUe gien .

Woran liegt das? Der vor einigen Jahren angeblich im November beim Schwimmen in der Ostsee ertrunkene DDR- Professor Dr. Lothar Kühne bil¬ ligte einer Partei nur dann die Füh¬ rungsrolle zu, wenn sie mit den histo¬ rischen Erfordernissen überein¬ stimme. Das ist nicht mehr der Fall. Die Ursachen dafür liegen in dem Sy¬ stem des politischen Monopols selbst.

Was ist ein

politisches Monopol?

Ein politisches Monopol ist eine auf einer Ideologie beruhende Organisa¬ tion, die mit einer militärisch organi¬ sierten Partei, dem Militär selbst oder in der Historie mit Hilfe der Kirche und ihrer Religion, in einer tiefen Gssell- schaftskrise die Macht ergreift. Seine objektive Funktion - unabhängig von der Ideologie - ist es, die Abwärtsent¬ wicklung einer Gesellschaft abzufan¬ gen, die Gesellschaft zu stabilisieren und den Weg zu einer Höherentwick¬ lung freizumachen. Das politische Mo¬ nopol ist immer das Zurückspringen einer Gesellschaft auf ein energiear¬ meres Niveau, ist in unserer Zeit das Zuriickspringen von der Marktwirt¬ schaft auf mittelalterliche Strukturen, die immer mit außerökonomischem Zwang verbunden sind.

ln diesen Herrschaftsformen domi¬ niert das Privilegiensystem das Lei¬ stungsprinzip. wird die Staatsbürger¬ schaft zu einer Form der modernen Leibeigenschaft. Wer aus diesem Sy¬ stem fliehen will, der wird einge¬ sperrt, getötet oder verkauft. Die ab¬ solute Macht einer kleinen Parteia¬ delsschicht basiert auf der rechtlichen Unselbstständigkeit und Abhängig¬ keit der Wirtschaftseinheiten von der obersten Zentrale. Erst die rechtliche Selbstständigkeit und Unabhängig¬ keit der Produzenten schafft die Vor¬ aussetzungen für Demokratie.

Im Gegensatz zum ökonomischen Monopol in der Marktwirtschaft, das seinen Lebensraum in der Wirtschaft hat und sich immer vrteder auf dem Markt beweisen muß, und das in die Politik geht, um gute marktvshrtschaft- liehe Ergebnisse zu erreichen, exi¬ stiert das politische Monopol in der Sphäre der Politik. Es wirkt ober den Machtapparat und über die Ideologie bzw. eine Art leligiösei Ideologie.

Ein politisches Monopol existiert auf der Basis der Monopolisierung

- der Macht

- der Informationen

- des Rechtes

- der Ökonomie

- der Kultur und aller anderen Berei¬ che des gesellschaftlichen Lebens.

Das politische Monopol ist immer eine Art geschlossener GeseUschaft, in der keine neuen gesellschaftlichen Kräfte entstehen können. Sie werden unterdrückt. Das politische Monopol ist nach innen nicht wirklich dialogfä¬ hig, denn jeder Dialog würde nur zur Einschränkung seiner absoluten Macht beitragen. Nach außen kann das politische Monopol entsprechend dem internationalen Kräfteverhältnis dialogfähig sein. Es sichert dadurch günstige innere Bedingungen.

Der Lebenszyklus der politischen Monopole besteht im wesentlichen in drei Phasen:

Die Aufbauperiode

Das politische Monopol übernimmt die politische Macht nach einer tief¬ greifenden gesellschaftlichen Krise (Weltwirtschaftskrise, Krieg oder nach der Herrschaft eines anderen po¬ litischen Monopols). Es setzt in allen Bereichen seine Ziele fest. z.B. soziali¬ stische Umgestaltung der Landwirt¬ schaft, Schaffung einer sozialistischen Volkswirtschaft, sozialistischer Rea¬ lismus, sozialistisches Menschenbild, sozialistische Moral u.a.m. Es setzt sein MachtmonopoL in allen Bereichen der Gesellschaft durch, getreu dem Motto: „Die Partei, die Partei, die hat immer recht.

Die Reifephase

Das politische Leben wurde gleich¬ gestaltet. Die Wirtschaft wurde kriegswirtschaftlich umgestaltet und autark orientiert- Der außerökonomi¬ sche Zwang dominiert das politische Leben, was auf das gesamte gesell¬ schaftliche Leben ausstiahlt. Die Menschen werden zu auswechselba¬ ren Schräubchen im Getriebe des poli¬ tischen Monopols. Die kleine, absolut

herrschende Gruppe an der Führung der Partei manchmal auch nur der Führer sind das einzige wu-kliche Rechtssubjekt des Staates.

Ziele des politischen Monopols in den verschiedenen Bereichen weiden auf Kosten aller Menschen erreicht. Häufig kostet es viel Blut des Volkes. Es gibt keine freien Wahlen, keine Möglichkeit, sich der Tyrannen zu ent¬ ledigen.

Die Degenerationsphase

Die realen Umgestaltungsziele wur¬ den erreicht. Unrealistische werden weiterhin als Mythos kolportiert. Man hat jeden Tag das Gefühl, die Medien schon mal gesehen zu haben. Sie etrotzen von Erfolgen, die im krassen Gegensatz zum täglich Erlebbaren stehen. Die mittelalterliche Struktur der GeseUschaft hemmt die Entwick¬ lung der Produktivkräfte. So ist die DDR zwar in der Lage gewesen, eine Reihe von Basisinnovationen durchzu¬ setzen, die sehr aufwendig waren, doch die Folgeinnovationen, die das Geld bringen, konnte sie nicht ausrei¬ chend Umsetzen.

Der Grund Uegt im mangelnden In¬ teresse der Betriebe, die Folgeinnova¬ tionen durchzusetzen. Die Ursache dafür liegt darin, daß die Betriebe nicht einmal wirklich über ihre eigene Reproduktion bestimmen können. Mit der kriegswirtschaftlichen Organisa¬ tion der Produktion lassen sich be¬ stimmte Schwerpunkte erreichen, doch die Entwicklung einer organisch abgestimmten Volkswirtschaft ist da¬ mit nicht möglich.

Die Lebensdauer

Politische Monopole haben eine un¬ terschiedliche Lebensdauer. Sie hängt ab vom Entwicklungsstand der Pro¬ duktivkräfte. Je höhet der Entwick¬ lungsstand ist und je schneller sich die Produktivkräfte entwickeln können, desto eher stirbt das politische Mono¬ pol. Sein Tod sind rechtlich selbststän¬ dige und unabhängige Wirtschafts¬ einheiten in allen Sphären der Produk¬ tion und eine breite politische Gegen¬ bewegung. In der Tendenz nimmt die Lebensdauer politischer Monopole in entwickelten Staaten immer weiter ab.

Das Feindbild

Wichtige Voraussetzung für ein po¬ litisches Monopol ist ein ausreichen¬ des Feindbild. Auf dieser Basis ist eine kriegswirtschaftliche Organisation der gesamten Gesellschaft möglich.

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Ost-West-DiskussionsfonimH Nr. 10

Februar 1990

Aus dem Feindbild wird das Wertesy¬ stem dieser GeseUschaftsfotm we¬ sentlich mit geprägt. Mit dem Schwin¬ den des Feindbildes verändert sich das Wertesystem der Menschen, was zu ernsten Krisen in den politischen Monopolen führt.

Die Chance

Die Chance zur Überwindung des politischen Monopols und des Über¬ gangs zu einer marktwirtschaftlichen Demokratie ist da. Erforderlich ist eine rasche Umgestaltung der Gesell¬ schaft. Neben einer Demokratisie¬ rung, neben der Errichtung eines Rechtsstaates, ist es ertorderlich, die Hegemonie der kommunistischen Par¬ teien aus zu schalten und ihr die Basis ihres ungerechtfertigten Einflusses auf die Wirtschaft zu nehmen. Als Übergangsphasen zu einer Marktwirt¬ schaft sind direkte Investitionen aus¬ ländischen Kapitals aufgrund des niedrigen DDR-Lohnniveaus möglich und in den Industrien mit völlig ver¬ alteter Produktions Struktur notwen¬ dig. ln anderen Bereichen ist eine volkskapltalistis che Übergangsf orm

zu effektiveren Vergesellschaftungs¬ formen möglich.

Die Gefahren

Mit dem niedrigeren Lohnniveau, das die Investitionen anlockt, sind die Gefahren für Arbeitsplätze in den Ka- pitalejcportländem verbunden. In der DDR kann ein Ausverkauf einsetzen. Doch dieser Ausverkauf hat bereits stattgefunden. Mehr als 80 % der Spareinlagen, die mehr als 150 Milliar¬ den Ostmark ausmachen oder mehr als einen JahreseinzelhandeUumsatz. gehören nur etwa 20 Prozent der Be¬ völkerung. Die Staats Verschuldung im Inland ist ebenfalls enorm und soll um die 131 Milliarden Ostmark liegen.

In den Beziehungen zum Ausland soll es auch nicht besser aussehen. In diesem Jahr wird die DDR erstmals ih¬ ren Schuldendienst nicht zahlen kön¬ nen, und füT die 90er Jahre wird sie da¬ für das lOfache ihrer bisherigen Ex¬ porterlöse aufwenden müssen. Wenn die SED behauptet, sie wolle den Aus¬ verkauf der DDR abwenden, so muJl man ihr entgegenhalten, daß sie den Ausverkauf bereits bis an eine Grenze

geführt hat, die dem völligen Ausver¬ kauf gleichkommt und aus dem die DDR als Staat nicht mehr herauskom¬ men kann. Ein Zusammenschluß mit der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage einer Föderation würde sich günstig auf die Überwin¬ dung der katastrophalen wirtschaftli¬ chen Situation auswirken. Sie würde den schmerzhaften und schweren Weg der DDR zu einem entwickelten Land, zu einer Demokratie ohne SED erleichtern.

Ein Sonntags Spaziergang erwartet dabei aber keinen der DDR-Bürger, Sie dürfen auslöffeln, was die kleine SED- Adelsschicht verbrochen hat. Sie müs¬ sen den Weg von einem politischen Monopol zu einer Demokratie schaf¬ fen, vom Mittelalter in die moderne Zeit. Das setzt voraus, daß sie Unter¬ stützung bekommen, um eine Wirt¬ schaft zu schaffen, die letztlich eine Marktwirtschaft ist. Es ist eine Art Marshall'Plan notwendig, der einen Rückfall in ein neues politisches Mo¬ nopol unmöglich macht.

Heinz Geelhaar

Gründungserklärung von »Demokratie jetzt«

Liebe Freunde, Mitbürgerinnen,

Mitbürger und Mitbetr offene!

Unser Land lebt in innerem Unfrieden. Menschen rei¬ ben sich wund an den Verhältnissen, andere resignie¬ ren. Ein großer Verlust an Zustimmung zu dem, was in der DDR geschichtlich gewachsen ist, geht durch das Land. Viele vermögen ihr Hiersein kaum noch zu beja¬ hen. Viele verlassen das Land, weil Anpassung ihre Grenzen hat.

Vor wenigen Jahren noch galt der „real existierende" Staats Sozialismus als der einzig mögliche. Seine Kenn¬ zeichen sind das Machtmonopol einer zentralistischen Staatspartei, die staatliche Verfügung über die Produk¬ tionsmittel, die staatliche Durchdringung und Uniformi- sierung der Gesellschaft und die Entmündigung der Bür¬ gerinnen und Bürger. Trotz seiner unbestreitbaren Lei¬ stungen für soziale Sicherheit und Gerechtigkeit ist es heute offenkundig, daß die Ära des Staats Sozialismus zu Ende geht. Er bedarf einer friedlichen und demokrati¬ schen Erneuerung.

Eingeleitet und gefördert durch di© Initiative Gorbat¬ schows wird in der Sowjetunion, Ungarn und Polen der Weg der demokratischen Umgestaltung beschritten. Enorme ökonomische, soziale, ökologische und auch ethnische Probleme stellen sich in den Weg und können die Umgestaltung zum Scheitern bringen, mit unheilvol¬ len Konsequenzen für die ganze Welt. Was die sozialisti¬ sche Arbeiterbewegung an sozialer Gerechtigkeit und solidarischer Gesellschaftlichkeit angestrebt hat. steht auf dem Spiel. Der Sozialismus muß nun seine eigentli¬ che. demokratische Gestalt finden, wenn er nicht geschichtlich verlorengehen soll. Er darf nicht verloren¬ gehen. weil die bedrohte Menschheit auf der Suche nach überlebensfähigen Formen menschlichen Zusammenle¬ bens Alternativen zur westlichen Konsumgesellschaft

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braucht, deren Wohlstand die übrige Welt bezahlen muß.

Entgegen allen Schönfärbereien sind die politischen, ökonomischen und Ökologischen Krisenzeichen des Staats Sozialismus auch „iit den Farben der DDR'* unübersehbar. Nichts aber deutet darauf hin, daß die SED-Führung zum Umdenken bereit ist. Es scheint, als spekuliere sie auf ein Scheitern der Reformen in der Sowjetunion. Es kommt aber darauf an, die demokrati¬ sche Umgestaltung mitzuvollziehen.

Die politische Krise des staatssozialistischen Systems der DDR wurde besonders deutlich durch die Kommu¬ nal wählen am 7. Mai 1989. Die Doktrin von der „mora¬ lisch* politischen Einheit von Partei, Staat und Volk“ , di© das von Wahlen unabhängige Macht monopol rechtferti- gen soll, konnte nur noch durch eine Wahlfälschung vor dem Gegenbeweis geschützt werden. 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung der großen Städte haben den Kandida¬ ten der Nationalen Front offen ihre Zustimmung verwei¬ gert. Zweifellos wäre diese Zahl bei geheimen Wahlen noch erheblich höher ausgefallen.

So viele Menschen werden durch die Nationale Front nicht mehr vertreten. Sie haben keine politische Vertre¬ tung in der GeseUschaft. Der Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger nach einer Demokratisierung des Verhältnis¬ ses von Staat und Gesellschaft kann in der DDR noch immer nicht öffentlich zur Sprache gebracht werden. Deshalb rufen wir auf zu einer Bürgerbewegung »Demo¬ kratie jetzt«.

Wir wenden uns an alle, die von der Not unseres Lan¬ des betroffen sind. Wir laden alle Initiativgruppen mit ähnlichen Anliegen zum Zusammengehen ein. Insbe¬ sondere hoffen wir auf ein Bündnis von Christen und kri¬ tischen Marxisten. Laßt uns gemeinsam nachdenken

DDR Berichte und Diskussion

über unseie Zukunft, über eine solidarische Gesell¬ schaft, in der

- soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde für alle gewahrt sind,

- der gesellschaftliche Konsens im Öffentlichen Dialog gesucht und durch den gerechten Ausgleich verschiede¬ ner Interessen verwirklicht wird;

- die verantwortliche und schöpferische Arbeit der Büigeriiinen und Bürger einen lebendigen Pluralismus unseres Gemeinwesens schafft;

- RechtsstaatLchkeit und Rechtssicherheit den inne¬ ren Frieden sichern;

Ökonomie und Ökologie in Einklang gebracht wer¬ den;

- Wohlstand nicht mehr auf Kosten der armen Länder gemehrt wird;

- Lebens erfüUung in Gemeinschaftlichkeit und schöp¬ ferisches Tun für das Gemeinwohl mehr als bisher gesucht und gefunden werden kann.

AUe, die sich beteiligen wollen, laden wir ein zu einem Dialog über Grundsätze und Konzepte einer demokrati¬ schen Umgestaltung unseres Landes. Im Januar oder Februar 1990 wollen wir zu einem Vertretertr eff en derer, die sich beteiligen, einladen. Es sollte ein Grundsatzpro¬ gramm beschließen sowie Sprecherinnen und Sprecher wählen, die dieses Programm in den dringend erforderli¬ chen Dialog aller gesellschaftlichen Kräfte einbringen können.

Wir hoffen auch auf die Möglichkeit, eine eigene Liste von Kandidaten für die bevorstehenden Volkskammer¬ wahlen aufstellen zu können.

Als einen ersten unfertigen, unvollständigen und ver¬ besserungsbedürftigen Gesprächsbeitrag fugen wir „Thesen für eine demokratische Umgestaltung in der DDR“ bei. Schreiben Sie uns Ihre Meinung und Ihre Kri¬ tik. Wir bitten Sie um Vorschläge zur Veränderungr Erweiterung und Vertiefung. Schreiben Sie uns auch, wenn Sie diesen Aufruf unterstützen wollen, und lassen Sie uns bitte wissen, wenn Sie uns organisatorisch stüt¬ zen wollen. Schreiben Sie bitte an eine der folgenden Adressen. Lassen Sie uns Zusammengehen und gemein¬ sam die Hoffnung wieder aufrichten in unserem Land!

Wolfgang Apfeld, 1035 Berlin,

Bänschstr. 37. Tel. 588 82 38

Dr. Michael Bartoszek, 1034 Berlin, Bersarinstr. 87,

Tel. 588 80 12

Stephan Bickhardt, 1055 Berlin, Dimitroffstr. 86 Dr. Hans-Jürgen Fischbeck. 1055 Berlin, Bötzowstr. 22 Reiner Flügge, 1054 Berlin, Christinenstr. 36.

Tel. 281 89 32

Martin König, 1321 Briest, Kleine Str. 3, Tel. Passow428 Reinhard Lampe, 1951 Dorf Zechlin, Dorfstr. 29,

Tel. 00 362 93/469

Ludwig Mehlhom, 1058 Berlin, Wörther Str. 35 Ulrike Poppe. 1055 Berlin, Rykestr. 28, Tel. 245 81 80 Di. Wolfgang UTlmaim, 1040 Berlin. Tieckstr. 17,

Tel. 281 40 72

Dr. Gerhard Weigt, 1185 Berlin, Gotenstr, 5/128-01 KoniadWeiß, 1100 Berlin, Kreuzstr. 18b, Tel. 432 41 20 - Bitte abschreihen und weitergeben. -

Thesen für eine demokratische Umgestaltung in der DDR

Das Ziel unserer Vorschläge ist es, den inneren Frie¬ den unseres Landes zu gevsrinnen und damit auch dem äußeren Frieden zu dienen. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft mitgestalten und alle Lebensbereiche demokratisieren. Zugleich müssen wir ein neues, part¬ nerschaftliches Verhältnis zu unserer natürlichen Mit¬ welt finden. Wir wollen, daß die sozialistische Revolu¬ tion, die in der Verstaatlichung steheng eblieben ist, wei¬ tergeführt und dadurch zukunftsfähig gemacht wird. Statt eines vormundschaftlichen, von der Partei beherrschter! Staates, der sich ohne gesellschaftlichen Auftrag zum Direktor und Lehrmeister des Volkes erho¬ ben hat. wollen wir einen Staat, der sich auf den Grund¬ konsens der Gesellschaft gründet, der Gesellschaft gegenüber rechenschaftspflichtig ist und so zur öffentli¬ chen Angelegenheit (res publica) mündiger Bürgerinnen und Bürger wird. Soziale Errungenschaften, die sich als solche bewährt haben, dürfen durch ein Reformpro¬ gramm nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Als Deutsche haben wir eine besondere Verantwor¬ tung. Sie gebietet, daß das Verhältnis der deutschen Staaten beiderseits von ideologischen Vorurteilen befreit und in Geist und Praxis ehrlicher und gleichbe¬ rechtigter Nachbarschaft gestaltet wird. Wir laden die Deutschen in der Bundesrepublik ein, auf eine Umge¬ staltung ihrer Gesellschaft hinzuwirken, die eine neue Einheit des deutschen Volkes in der Hausgemeinschaft der europäischen Völker ermöglichen könnte. Beide deutsche Staaten sollten um der Einheit willen aufeinan¬ der zu reformieren.

Die Geschichte auferlegt uns Deutschen eine beson¬ dere Friedenspflicht. Wir sollten ihr entsprechen durch eine Reduzierung der Verteidigungspotentiale der

Nationalen Volksarmee und die Einführung eines sozia¬ len Friedensdienstes als Alternative zum Wehrdienst.

1. Vom Obrigkeitsstaat zur Republik

Die Unterordnung des Staates unter die Polltbürokra- tie der Partei und deren institutionalisiert© Ämterpatro- nag© müssen ein End© haben. Die strikte Trennung von Legislative (Volksvertretung) und Exekutive (Räte) ist notwendig, damit eine wirksame Kontrolle der Räte durch die Volksvertretungen erfolgen kann. Das Wahl¬ recht muß so refonnlert werden, daß Wahifreiheit und Wahlgeheimnis gewährleistet sind. Es muß möglich sein, über verschiedene politische Programme und zwi¬ schen den Vertretern zu entscheiden. Wir schlagen vor, UN-Beobachter zu den nächsten Volkskammerwahlen einzuladen.

Der Staat sollte sich aus Funktionen zurückziehen, die Sache der Gesellschaft sind:

Die Medien gehören in die Hände von nichtkommer¬ ziellen Körperschaften Öffentlichen Rechts, damit sie zu Instrumenten freier und öffentlicher Meinungsäußerung werden können. Alle gesellschaftlichen Gruppen müs¬ sen Zugang zu Presse, Funk und Fernsehen haben.

Die Schulen, Hochschulen und Ausbildungseinrich¬ tungen dürfen nicht länger Instrument ideologischer Ausrichtung und der Indoktrination im Sinne einer Partei bleiben, auch wenn sie die Regierung stellt. Die Schule und die bisherige Kinder- und Jugendorganisation soll¬ ten entflochten werden. Neue Kinder- und Jugendorga¬ nisationen müssen möglich sein. Eltern sollten das Recht erhalten, über Lehrpläne und -methoden mitzube- stimmen.

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»Ost- West-Diskussionsforum« Nr. 10

Februar 1990

Parteien und Organisationen sollten von staatlicher Ausrichtung und Aufsicht gelöst werden. Die volle Frei¬ heit zur Bildung gesellschaftlicher Vereinigungen muß gewährleistet sein.

Die Gewerkschaften müssen unabhängige Interes- senvertreterinnen der Werktätigen werden und das Streikrecht erhalten.

Wissenschaft, Kunst und Kultur müssen bei Selbst¬ verwaltung ihrer Institutionen gemäß der Verfassung die Möglichkeit erhalten, sich frei und ohne ideologische Gängelung zu entfalten. Rechtsvorschriften und Richt- Lnien. die entsprechende verfassungsmäßige Rechte ein schränken, müssen außer Kraft gesetzt werden.

Eine Rechtsieform sollte tvillkürlich au siegbare Straf¬ tatbestände beseitigen und die Unabhän0gkeit von Richtern und Verteidigern gewährleisten. Der Strafvoll¬ zug sollte so reformiert werden, daß eine öffentliche Kontrolle und ein wirksames Beschwerderecht gewähr¬ leistet weiden.

Eine Verfassiingsgerichtsbarkeit sollte eingeführt und die Verwaltungsgerichtsbarkeit voll verwirklicht werden.

Die Reisefreiheit und das Auswanderungsrecht soll¬ ten gemäß der Wiener KSZE-Beschlüsse verwirklicht werden.

2. Von der Verstaatlichung zurVergesell- schaftung der Produktionsmittel

Wir befürworten ein Ende der politbürokratischen Kormnandowirtschaft. Der bestehende Staatsplandiri- gismus sollte durch eine staatliche Rahmenplanung abgelöst werden. Nur solche staatlichen Aufsicht s- und Lenkungskomponenten sollten bestehenbleiben, die für die Bindung jeglicher Wirtschaftstätigkeit an das Gemeinwohl erforderlich sind (Umwelt- und Sozialver¬ träglichkeit).

Betriebe und Vereinigungen von Betrieben sollten Ökonomisch selbständig werden und ihr Angebot und ihre Preise am Markt orientieren, damit aus dem beste¬ henden Nachfrage- ein Angebots Wettbewerb wird.

Wir befürworten eine gewerkschaftliche Mitbestim¬ mung in den Betrieben, die Wählbarkeit von Leitungs¬

kräften, eine echte Rechenschaftspflicht der Leitung gegenüber der Belegschaft und eine Gewinnbeteiligung der Belegschaft.

Wir befürworten ©in© Stärkung und Unabhängigkeit der bestehenden landwirtschaftlichen, handwerklichen und Handelsgenossenschaften sowie die Neubildung von Produktions- und Handelsgenossenschaften.

Wir befürworten die Zulassung privater Kooperativen sowie die Ermöglichung privater Wirtschafts- und Eigentumsformen, sofern eine angemessene Mitbestim¬ mung der Beschäftigten gewährleistet Ist.

3. Von der Ausbeutung der Umwelt zu einem Zusammenleben mit der Natur

Grundvoraussetzung ist die Offenlegung der relevan¬ ten Umweltdaten und der Verschmutzungs- und Res¬ sourcenprobleme unseres Landes.

Wir brauchen eine lückenlose und lande s weite Über¬ wachung der Schadstoffkonzentrationen in Wasser, Luft und Boden.

Die Praxis einer „kostenlosen“ Entsorgung durch Ver¬ dünnung von Schadstoffen muß so schnell wie möglich beendet werden. Di© Entsorgung muß in vollem Umfang in die Kostenrechnung der Betriebe eingehen. Es sollte eine Umwelthaftpflicht eingeführt werden. Die Beweis¬ last für die Schadlosigkeit der Produktion sollte durch eine entsprechende Preis- und Steuerpolitik herbeige¬ führt werden. Eine strenge staatliche ümweltverträg- lichkeitsprüfung und Kontrolle von Produktion und Pro¬ dukten ist erforderlich.

Die Nutzung, Erschließung und Erforschung emeuer- bater Energiequellen sollte in jeder Hinsicht gefördert werden.

Eine öffentliche Diskussion der Umvreltprobleme, besonders des Energieproblems, der Risiken der Kern¬ energie, des Treibhauseffektes und des Wachstums ist notwendig.

Ein Wandel der gesellschaftlichen Zielbestimmung und der leitenden Werte ist nötig, damit wir auch zu einem Wandel des Lebensstils zu mehr Gemeinschaft¬ lichkeit und Lebensqualität kommen.

Bericht zur 1 . Gesamtdeutschen Arbeiter- und Jugendkonferenz am 17. 12. in Berlin

Auf dieser Korrierenz trafen sich etwa 200 Kolleginnen und Kollegen, darunter Mitglieder der SPD aus Ost und West, vom »Neuen Forum«, von »Demokratie jetzt«, und Gewerkschaftsmitglieder. Die InKiative für diese Konfe¬ renz war ausgegangen von der »Vereinigung der Arbeitskreise für Arbeitnehmerpolitik« (VAA) in ganz Deutschland.

In den Arbeitskreisen für Arbeitnehmerpolitik und Demokratie haben sich Kräfte verschiedener politischer Herkunft, u.a. auch Mitglieder der SPD, und Gewerk¬ schaftskollegen zusammengeschlossen.

In dem Aufruf zur Konferenz heißt es u.a«:

„Wir haben in der Diskussion feetgesteJIt, daß wir Arbeitnehmerfimen aus beiden Teilen der Stadt keine gegensätzlichen, sondern gem&insAme Interessen haben. Nach der Öffnung der Grenze sind wir jetzt sogar in der Lage, unsere gemeinsamen Interessen auch

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gemeinsam zu vertreten. Daher haben wir den »Arbeits¬ kreis für Arbeitnehmerpolitik und Demokratie« aJs gemeinsame Vereinigung gegründet.

Wir teilen die Befürchtungen vieler Kollegen/innen in Ost und West, daß die Unternehmer und ihre politischen Vertreter, wie z.B. Herr Kohl, versuchen werden, die DDR als BilliglohnJand zu mißbrauchen. Sie werden ver¬ suchen, uns in Ost und West gegeneinander auszuspie¬ len.

Wir sind der AuHassung. daß diese Versuche erst dann ein Ende haben, wenn sich die Lebensbedingun- gen in beiden Teilen Deutschlands angeglichen haben. Diese Nivellierung darf keine Verschlechterung werden, sondern die Veränderung der Rechte der Arbeitnehme¬ rinnen in Richtung Verbesserung ist unser Ziel

Notwendig ist die solidarische und demokratische Dis¬ kussion der Arbeitnehmerinnen und Jugendlichen aus

DDH * Berichte und Diskussion

Ost und West. Nur in einer solchen Diskussion derKoUe- gen/innen und ihrer Organisationen können Lösungen für die großen Probleme gefunden weiden, die 40 Jahre Teiiung hin teriassen haben. (...)

Wir treten ein für eine Gesamtber/iner Konfereni der Arbeitnehmerinnen und Jugend und ail der von ihnen frei aufgebauten Organisationen. Sie zu organisieren, ist in erster Linie die Verantwortung von SPD und Gewerk¬ schaften.

Diese Konferenz hat die Aufgabe, ein wirkiich demo¬ kratisch iegitimiertes Aktionsprogramm zum Schutz der Arbeitnehmerinnen, ihrer Familien und der Jugend in beiden Teilen der Stadt zu entwickeln und zu beschlie¬ ßen. (...)••

Auf der Konferenz selbst gab es lebhafte Diskussio¬ nen, die sich vor allem auf zwei Fragen konzentrierten:

1.) Die Verantwortung der SPD und der DGB-Gewerk- schäften in dieser historischen Situation. Es wurde allge¬ mein die Position vertreten, daß diese Organisationen der Arbeiterbewegung es in der Hand hätten, die Arbeit¬ nehmer aus Ost und West zu vereinen im gemeinsamen Kampf gegen das gemneinsame Geschäft der Konzerne und der Bürokratie, für das die Vertragsgemeinschaft der Regierung Kohl mit der SED-Regierung den Rahmen schafft.

2.) Die Frage nach dem Aufbau unabhängiger Gewerk¬ schaften in der DDR.

Die Konferenz beschloß, den Entwurf für eine »Charta zur Verteidigung der Interessen der arbeitenden Bevöl¬ kerung und Jugend und der Demokratie in ganz Deutschland« zur freien und breitesten Diskussion vor¬ zulegen. Sie soll in Verbindung mit der Gründimg neuer Arbeitskreise in ganz Deutschland mit gemeinsamen Aktionen und einer Tournee in Ost- und Westdeutsch¬ land eine 2. gesamtdeutsche Konferenz am 18. Februar in Berlin vorbereiten.

Im Anschluß an die Konferenz begab sich eine Delega¬ tion zum SPD- Parteitag, um einen öffentlichen Antrag, der von ca. 3 000 Unterschriften unterstützt wurde, zu überreichen. Die Delegation wurde von Frau Engelen- Kefer, Mitglied des SPD -Parteivorstands, empfangen.

Die Dokumente der Konferenz und der Bericht der Delegation sind In einer DOKUMENTATION zusam- mengefaBt, die über Ellen Engstfeld, postlagernd, 5000 Köln 60, bestellt werden kann (28 S. - Spenden¬ preis 4,50 DM-Mark).

Aus einem Interview mit einem Kollegen vom »Arbeitskreis für Arbeitnehmerpolitik und Demokratie» in Leipzig

Frage: Auf der Konferenz in Berlin wurde der Beschluß gefaßt, eine ge¬ samtdeutsche Unterschriftensamm¬ lung zu machen unter dem Titel Weg mit Kohl Weg mit Modrow - Für eine gesam td ©utsche SPD -Regieru r g , d.h. für eine Regierung, die die Inter¬ essen der arbeitenden Bevölkerung in Ost und West vertritt. Gibt es jetzt dazu Eifahiungen in Leipzig?

Frank! Wir haben bei den Montags¬ demonstrationen diese ünterschiif- teiisammlung verteilt bzw. auch Un¬ terschriften gesammelt, und es hat Anklang gefunden. Es wurde auch heftig darüber diskutiert, aber ein An¬ klang war da. Nach Diskussionen wurde meistens festgestellt, daß es diese Forderungen sind, die wichtig sind ln der Zukunft, um ein soziales Ab sinken zu verhindern.

Frage: Welche Schwerpunkte hat jetzt der Arbeitskreis in Leipzig in Vor¬ bereitung der 2. Gesamtdeutschen Arbeiter- und Jugendkonferenz?

Frankl Unser erster großer Schwer¬ punkt war eigentlich, mit den KoUe*' gen in Leipzig zu reden. Also mit allen Kollegen aus Leipziger Betrieben, die erreichbar sind, über unabhängige Gewerkschaften und Betriebsräte zu sprechen und diese auch auf zuf or¬ dern. sie zu gründen.

Frage: Gab es Ergebnisse dieser Diskussion?

Frank: Erstes Ergebnis dieser Dis¬ kussionist, daß wir ein Flugblatt erar¬ beitet haben, worin wir den Kollegen Vorschlägen, innerhalb der Beleg¬ schaften darüber zu diskutieren, Ver¬ trauensleute zu wählen und daraus ei¬

nen Vertrauensleut esprecherrat zu gründen.

Am nächsten Mittwoch findet im Energiekombinat Leipzig eine Ver¬ sammlung statt, wo Kollegen aus die¬ sem Betriebsteil und aus anderen Be¬ triebsteilen des Energiekombinates auf dieses Flugblatt hin sich treffen, und wir versuchen dort schon erste Schritte zur Gründung eines unabhän¬ gigen Betriebsrats zu machen...

Frage: Neben Eurem Kampf für die Gründung von unabhängigen Be¬ triebsräten und unabhängigen Ge¬ werkschaften habt Ihr Schwerpunkte wie Wohnungspotitik und Gesund¬ heitswesen. Welche Forderungen habt Dir z-B. zur Wohnungsfrage auf¬ gestellt?

Frank: Etwa die Forderung, daß sich in den einzelnen Stadtteilen unabhän¬ gige Komitees bilden sollen, die dar¬ über entscheiden, was mit den Woh¬ nungen passiert; die darüber ent¬ scheiden, ob es überhaupt Mieterhö¬ hungen gibt, denn es kann nicht sein, daß eine Regierung, die nicht legiti¬ miert ist, darüber entscheidet, ob es höhere Mieteix gibt oder andere Äxten von Subventionsabbau betrieben wer¬ den.

Frage: Durch einen Artikel im »Köl¬ ner Stadt-Anzeiger« wurde bekannt, daß die Industrie- und Handelskam¬ mer (IHK, örtliche üritemehmerver- einigung) eine „Partnerschaft“ zu Leipzig aufbauen will. Eine KoUegin vom Arbeitskreis berichtete, daß der AK hier gegen dieses Projekt kämpfen will. An der Überschrift dieses Arti¬ kels, „Erlaubt ist, wae nicht verboten

ist*', wird deutlich, auf was die Unter¬ nehmer hoffen: Sie sehen in Leipzig jetzt ein großes Feld, um Gewinne und Profit zu machen. Das heißt die glei¬ chen. die hier die Mieten nach oben treiben, die spekulieren mit Wohn- raum usw. usf-, stürzen sich jetzt auf Eure Stadt.

Frank: Da ist genau der Ansatz¬ punkt für ©in© Zusanunenarbeit zwi¬ schen Leipzig und Köln, daß wir zu¬ sammen dagegen vergehen können, daß z.B. Spekulanten bei uns Grund¬ stücke und Wohnungen aufkaufen, um damit zu spekulieren; daß Mieten in die Höhe getrieben weiden.

Frage: Dir könntet ja z.B. auch Klä¬ rung darüber verlangen, wer jetzt ei- genihch die Verhandlungen mit der IHK führt, also welche Personen in Leipzig den Ausverkauf heute bereits organisieren.

Frank: Ganz genau. Darüber könnte man in Leipzig entscheiden, wer mit der IHK spricht, wer zuläßt oder wer nicht zuläßt, daß Grundstücke und Häuser verkauft werden für Spekula¬ tion.

Frage: Das ganze passiert ja hinter dem Rücken der Leute.

Frank: Das passiert hinter dem Rük- ken der Bevölkerung- Über diesen Ar¬ tikel z.B. ist in Leipzig nichts bekannt. Oa sehe ich eben die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den Arbeitskreis en .

An diesem ganz konkreten Beispiel der Zusammenarbeit zwischen den Arbeitskreisen können wir auch unse¬ ren Kollegen genau erklären, daß wir eine Arbeiterschaft sind und daß es

17

»Ost-West-Diskussionsforum« Nr. 10

Februar 1990

nicht zwei, eine in Ost und eine in West, gibt. Wir sind eine Arbeiter¬ schaft, und wir haben dieselben Inter¬ essen und Anspruch auf die selben Rechte.

Frage: Bei uns wurde jetzt bekannt, daß der Rat in Leipzig, die Stadtver¬ ordnetenversammlung, vor kurzem zurückgetreten ist und damit die Kon¬ sequenzen gezogen hat aus dei Fäl¬ schung der Kommunalwahl im Mai dieses Jahres. Habt Ihr darüber im Ar¬ beitskreis diskutiert?

Frank: Ja, der Stadtrat ist ja nicht nur wegen der gefälschten Wahl zu¬ rückgetreten, sondern auch wegen der Mißwirtschaft, die in den letzten Jahren betrieben wurde. Und sie sind auch jetzt nicht mehr in der Lage ge¬ wesen, dieses Regierungsbündnis aufrecht zu erhalten. Wir haben dar¬ über diskutiert und sehen hierin die Möglichkeit, in der Stadt jetzt endlich dazu zu kommen, daß die Komitees, die wir anstreben, sich bilden und sich bei einer Wahl für einen unabhängi¬ gen Stadtrat zur Wahl stellen.

Frage: Ihr seid also nicht dafür, daß in irgendeiner Form ein runder Tisch oder eine Übergangs -Stadtverordne¬ tenversammlung gebildet wird.

Frank; Da sind wir absolut dagegen, weil es sich ja gezeigt hat, daß mit dem runden Tisch nichts zu lösen ist. weil er gar keine Verantwortung hat, keine Regieningsverantwortung in der Stadt. Bei Versuchen, ihn in die Re¬ gierung 2u ziehen, wird er dann ge¬ spalten. Deswegen sind wir für eine direkte Wahl von Bürgern und Werk¬ tätigen, die wirklich von unten her in den einzelnen Komitees gewählt wor¬ den sind.

Frage: Ihr habt auch schon Diskus¬ sionen gehabt mit sozialdemokrati¬ schen Kollegen und einem sozialde¬ mokratischen Verantwortlichen in Leipzig.

Frank: Ja, die Leute waren da, zum einen aus Westdeutschland, zum an¬ deren aber auch bei einer Großveran¬ staltung im Bmno-Plache-Stadion in Leipzig. Dabei kam heraus, daß die Mehrheit der SPD-Basis und auch die

SPD- Wähler sich für Forderungen des Arbeitskreises einsetzen würden. D.h. ganz konkret, daß das, was die SPD- Führung anstrebt, noch lange nicht unbedingt die Meinung der Basis ist.

Frage: Was meinst Du damit, „was die SPD-Führung anstrebt" ?

Frank: Die SPD-Führung in Leipzig z.B. orientiert sich auf eine soziale Marktwirtschaft. Das kann ja wohl nicht die Aufgabe einer SPD sem, die vorwiegend von Arbeitnehmern ge¬ wählt wird.

Ein sozialdemokratischer Genosse aus Köln hat auf einer Veranstaltung der SPD in Leipzig gesprochen und hat die Forderungen der Kollegen an der Basis nochmal genauer umschrieben und benannt . Er hat dafür auch großen Beifall erhalten, was uns zeigt, daß wir auf jeden Fall in der richtigen Rich¬ tung arbeiten.

Leipziger Chronik (Teil 4)

Unter dem Titel »Die Mücke« legten die Leipziger Arbeitsgruppen »Arbeitskreis Menschenrecht« und Arbeitskreis Gerechtigkeit« im März 1989 eine im )»Ost-West-Diskussionsforum« veröffentlichte Chro-

4.6.

nik vor, die die Entwicklung eines Jahres verfolgte. Somit kann der Leser die Entwicklung seit Februar 1 983 nachlesen. In dieser Ausgabe ist der Zeitraum 4. 6. 1989 bis 4. 9. 1939 zusammengefaßt.

900 Personen versammeln sich In der Paul* Gerhardt-Kirche zu einem Umweltgottasdienst. Anschließeud setzen sich 500 Personen zum 2. Plei¬ ßemarsch in Bewegung; nach weni¬ gen Metern greifen Bereitschaftspoli¬ zei, Staatssicherheit in Zivil und Kampfgruppen in Zivil ein und zer¬ sprengen den Zug. Einige kehren um. andere versuchen, in zwei 150 Perso¬ nen großen Gruppen den Marsch wei¬ ter durchzuführen. Von der einen Gruppe werden nach 500 Metern etwa 50 vorläufig festgenommen. Die zweite Gruppe bleibt zusammen und kommt - ungeplant —bis zum Bezirks- gebaude der SED ; dort riegelt die Poli¬ zei erneut alles ab und versucht, einen Kessel zu bilden. Daraufhin begeben sich einige auf die Treppen des SED- Bezirksgebäudes in einen Sitzstreik. Nochmals gibt es vorläufige Festnah¬ men.

Etwa 40 Personen (vorrangig Mitar¬ beiter der »Frauen für den Frieden« und der AG Friedens dienst und des Jugendkonverites Leipzig) erreichen dann fast unbehindert die Kef. Kirche, wo ein weiterer Umweltgottesdienst mit mehrstündigem Informationspro¬ gramm stattfindet. Insgesamt wurden 74 Personen vorläufig festgenommen.

Bereits seit Sonnabend standen Mitarbeiter verschiedener Gruppen unter Hausarrest, der bis Sonntag

18

18.00 Uhr andauerte. Acht Aktivisten wurden bereits bis Sonntagmittag zu- geführt; zum Teil, weil sie den Haus¬ arrest durchbrachen, aber auch, weil die Sicherheitskräfte sichtlich nervös waren (so hatte der Mitarbeiter des AK Gerechtigkeit, Thomas Rudolph, keinen Hausarrest, wurde aber 100 m von aeiner Wohnung entfernt auf dem

Wege zu einem Zigarettenladen zuge¬ führt); waren doch sowohl Pleiße- marsch als auch Straßenjnusikfest vom Politbüro untersagt worden. Die SED-Bezirksleitung wollte nicht schon wieder eine Rüge für schlechte politi¬ sche Arbeit oder Nichteinhaltung von Ruhe und Ordnung erhalten, wie in der Woche zuvor. Auch personelle

Jugendliche protestieren in Leipzig gegen AkCenverhrennung

DDR * Leip2i9er Chronik

Konsequenzen in der Bezirksleitung standen wohl erstmals zur Debatte.

5.6.

Zum Ftie densgebet» welches Pfar* rer Kaden zusammen mit der AG Um¬ weltschutz hielt, waren so viele ge* kommen wie noch nie (1250) . Auch der Landes bis chof und OKR Auerbach waren anwesend. Dies war wohl der Grund dafür, warum die Polizei nicht sichtbar schon vor jeglicher Demon¬ stration mit Polizeiketten die Strafen abspeiTte.

10. 6.

Straßenmusikfestival. Erneut Haus¬ arrest und vorläufige Zuführungen. Insgesamt wurden mindestens 114 Personen vorläufig festgenoixunen. Volker Dom aus Eüenburg wurde nach § 214 zu 6 Wochen Freiheitsent¬ zug verurteilt.

(Zum Straßenmusürfest siehe auch Umweltbiätter Mai t$$9 und das Son¬ derheft der >iHaiteste2ietf , weiches der Friedens- und Umweitkreis beim öku- memechen Jugendzentnim in Qued¬ linburg herausgab.)

11.6.

Unter Beteiligung von Mitarbeitern ^es AK Gerechtigkeit wird ln Börln ein Gottesdienst mit Informationstag zu¬ sammen mit 700 Menschen der umlie¬ genden Orte und 100 Atomkraftgege- nem aus der DDR durchgeführt. Zuvor waren 100 Personen in einer unterbro¬ chenen Fahrradkette von Wurzen nach Böiln gefahren.

Börln erlebte das größte Sicher¬ heitsaufgebot seit den Napoleoni- sehen Kriegen und der Völkerschlacht bei Leipzig. Vier Personen wurden ohne ersichtlichen Grund, wohl wie¬ derum aus Nervosität, zugeführt (siehe »Forum für Kirche und Men¬ schenrechte» Nr. 1, S. 8).

12. 6.

Der Fhedenskreis Grünau/Llnde- nau gestaltet vor 1 000 Personen in der Nikolaikirche das montägliche Fhedensgebet. Nach dem Friedenege- bet setzt sich ein Zug von 200 Antrag¬ stellern in Bewegung- 25 Personen werden vorläufig festgenommen. Erstmals tauchen 16/ 17jährige bart¬ lose Jünglinge (wohl Mitglieder der OST) als Provokateure auf.

17. 6.

Die Leipziger Bereitschaftspolizei hatte auf Grund der Einsätze ihr Sprit- kontingent bereits bis November ver¬ fahren, und die 15 Monate Dienenden fragten immer öfter, was denn die Eiri- sätze gegen friedliche Demonstranten sollten. Dies war wohl der Grund da¬ für, warum an diesem Tag die Halle¬ sche BereltschaftspoUzei bei der ver¬ muteten Demonstration am Alten Ra¬ thaus zum Einsatz kam. Einige we¬ nige Antragsteller hatten sich auch auf dem Markt versammelt. Sie stan¬ den jedoch vereinzelt und bildeten keinen Demonstrationszug.

18.6.

Der AK Solidarische Kirche und der AK Gerechtigkeit gestalten in der Markus kirchgemeinde eine Andacht mit Informationsmaterial über die Vor¬ gänge in China.

Die Proteste hielten schon seit Wo¬ chen an Viele Gruppen hatten Sam* meleingaben und Petitionen verfaßt, Studenten trugen chinesische Flag¬ gen mit Trauerflor an den Jacken. Al¬ lein die LVZ soll bis zu diesem Tag 150 Unteischrifen in Sachen China bekom* men haben

44 Theologie Studenten des Theolo¬ gischen Seminars hatten bereits eine Petition an den sächsischen Landesbi* schof gesandt, damit er sich für eine SteUungnahme des Ökumenischen Rates der Kirche ein setzt.

Einige Mitarbeiter von Leipziger Stadtbezirksleitungen der SED wur¬ den auf Grund ihrer Proteste Ihrer Po¬ sten entbunden und in niedrigere Po¬ sitionen gesetzt. Die Parteiaustritte nahmen wieder sprunghaft zu. Vom 1. Januar bis 15. Juni traten 998 Perso¬ nen aus, und 695 wurden aus der Par¬ tei herausgeschmissen (Zahl für die Bezirke).

19. 6.

Vor 1 100 Personen hält die Nikolai¬ kirchgemeinde und das christliche Umwelt Seminar Rötha das montägli¬ che Friedensgebet.

Bereits vor dem Friedensgebet wurde der Theologiestudent Mike Dletel zugeführt, weil er eine der oben beschriebenen Fahnen zu China trug.

Nach dem Friedensgebet bildeten etwa 100 zumeist Antragsteller einen Schweigemarsch, der nach wenigen Metern gestoppt wurde. Es gab 30 vorläufige Festnahmen (siehe Mittei¬ lung der AG zur Situation der Men¬ schenrechte vom 26.6.).

21.6.

Eine DDR- weite Erklärung von 25 Friedens- und Menschenrechts grup¬ pen zu den Vergangen in China wird verfaßt. Sie wird am 22. 6. veröffent¬ licht (siehe »Ost-West-Diskussions- forum« Nr. 8/9, S. 57).

24. 6.

In der »Leipziger Volks zeitung« be¬ faßt sich ein Herr Rudolf Otto in emem Zwelspaltei unter dem Titel „Was treibt Frau A.K. ins Stadtzentrum?" mit den Demonstrationen seit Januar 1989 ln Leipzig. Interessant erscheint, daß am Beginn der zweiten Spalte „solche! Gruppen wie in Leipzig" (of¬ fensichtlich unterschieden von denen in der ersten Spalte / 2. Absatz) ge¬ meint sind. Gemeint sind damit wohl vor allem der AK Gerechtigkeit, die AG Menschenrechte, die AG Umwelt¬ schutz, der Jugendkonvent und die IG Leben, wobei der Verfasser des Arti¬ kels geflissentlich vergaß, daß es ge¬ rade sie waren, die für die „Lehr¬ stunde produktiver, verantwortungs¬ bewußter Einmischung" in die Wahl¬

veranstaltungen (sprich Wahlver¬ sammlungen) verantwortlich waren, welche Herr Otto im 3. Abschnitt der 2. Spalte empfiehlt.

Übrigens hatte Herr Magiiius be¬ reits staatlichen Stellen angekündigt, daß er Herr Urban wegen dessen Schreiben auf suchen werde, was die Staatlichen Stellen sich verbaten. Ob mit Erfolg, ist noch nicht bekannt

24./25. e.

Im Rosental findet das 9. Rosental¬ fest statt. Zur großen Jugendveran¬ staltung mit 4 Bands am Sonnabend¬ abend saßen jedoch nur etwa 100 Ju¬ gendliche verstreut auf der großen Wiese und lauschtem dem teuren Rock, der auch hier im Auftrag der FD J organisiert war. Verglichen mit dem Straßenmusikfest und seiner Besu¬ cherzahl (Schätzungen bewegen sich zwischen 1 500 und 2 500 Personen) vom 10. Juni bleibt zu konstatieren: Die SED hat es immer schwerer, „ihrer Jugend" attraktive Alternativen anzu- bieten. Und sie soUte auch nicht anbie¬ ten und vorschreiben, sondern endlich Kreativität und Selbstbewußtsein zu¬ lassen,

26.6.

Leipziger Friedens gebet in der Ni¬ kolaikirche :

Gekommen waren 1 000 Personen: alle waren sie aufgebracht über den Artikel in der LVZ.

Ablauf; Pfarrer Führer verliest einen Protestbrief von 30 Personen an die chinesische Botschaft, um gegen die Todesstrafen in China zu protestieren. Planer Führer ruft die Gottesdienst¬ besucher dazu auf, die im Zusammen¬ hang mit den Ereignissen uro die Niko- laikirchs stehenden Repressionen ge¬ gen Gottes dienstbesucher dem Kir¬ chenvorstand von St. Nikolai mitzutei- len. damit dieser selbige an das Lan¬ de sküchenamt weiterleiten kann. Pfarrer Führer teilt mit, daß der Kir¬ chenvorstand St. Nikolai Herrn Rudolf Otto zu einem Gespräch einlädt, weQ die Zeitungen eine QegendarsteBung sicher nicht abdrucken werden. Wei¬ ter erklärt er: „Dieser Artikel dient nicht dem Frieden in unserer Stadt. Wir bedauern diese Entgleisung. "

Thema des von einer Friedens¬ gruppe gehaltenen Gebetes war „Frei denken", welches anhand eines Gala¬ tertextes ausgeführt wurde. Viel Platz in den Ausführungen des Predigers nahm dabet die Gründung des Frei¬ denkerverbandes ein.

Püibitte wurde für freies Denken und freien Glauben; die Einsicht der Sicherheitsorgane, daß Meinungsäu¬ ßerung keine Provokation Ist; ein Ende der Repression in Südafrika und China; sowie dafür gehalten, daß Frei¬ heit kein Privileg der Herrschenden ist.

Außerdem wurde eine MitteOung der Arbeitsgruppe zur Situation der Menschenrechte bekannt, die besagt,

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»Ost-West-Diskussionsforum« Nr. 10

Februar 1990

daß es mellt nur Ordaungsstrafen, eondem auch Strafbefehle nach den Demonstrationen vom 12. und 19 Juni gab.

6. 7.

Aus Anlaß des Leipziger Kirchenta¬ ges verfassen die AG Menschen* rechte und der AK Gerechtigkeit einen Offenen Brief an die BevöLkerung dr DDK über die jüngsten Repressionen in Leipzig (siehe »Ost-West-Diskus* sionforum« Nr. 8/9, S. 16).

9. 7. - Kirchentag in Leipzig

Während des Kirchentages erlebte dann auch die Frauen- und die Sozial¬ arbeit die Ab* und Ausgrenzungs¬ praktiken des Kirchentag sausschus- ses.

Die schönfärbende und brisante Themen verdrängende Abschlußver¬ anstaltung veranlaßt e dann einige junge Mitarbeiterinnen kirchlicher Gruppen, ein deutliches Zeichen für die bis dahin wenig beachteten The¬ men zu setzen: 2 Plakate mit der Auf¬ schrift: „Nicht nochmal Wahlbetrug'' und „Demokratie ln chinesischer und deutscher Schrift.

Es schlossen sich sofort viele Kir¬ chen tag st eilnehineiinnen an eine bunt gemischte Gruppe von einigen hundert Leuten zwischen 15 und 70 Jahren.

Nach langen Diskussionen mit den Kirchentagsorganisatorlnnen einigte man sich darauf, daß die Gruppe wäh¬ rend dar Veranstaltung nicht über den Platz laufen, sondern sich an einem Ort aufhalten würde. Nach dem Ende des Gottesdienstes zog dann die Menge, inzwischen durch regenbo¬ genfarbige Bänder, die an alle Teil¬ nehmerinnen ausgeteilt wurden, mit¬ einander verknüpft, zur Tribüne, mußte dort aber erleben, daß kirchli¬ che Ordnungstruppen sie brutal am Besteigen der Treppe hinderten. Er¬ folglos wandten eie sich ab und zogen mit ihrem großen Plakat, das durch die großen chinesischen Schriftzeichen erheblich Aufsehen erregte, in Rich¬ tung Ausgang.

Ursprünglich war geplant, das Pla¬ kat nur auf dem Kirchentagsgelände 2u tragen zu groß war die Angst vor sinnlosen Zusammenstößen mit der Polizei, deren Ergebnis doch nur viele Zuführungen und damit verbundene Sanktionen gewesen wären.

Doch nun entschlossen sich die Menschen zu konsequentem Handeln - mit der „Demokratie“ zogen sie in Richtung Innenstadt. Von einem er¬ sten Polizeihubachrauber ließen die ca. 1 000 Menschen sich nicht stören. Singend gelangten sie bis zur näch¬ sten großen Straße, an der es durh eine Straßenbahn zu einigen Kompli¬ kationen kommen sollte.

Denn aue der haltenden Straßen¬ bahn sprang plötzlich ein Tripp von Stasi-Männern, die den Plakatträgem die „Demokratie'* entrissen. Da die Menschen vermuteten, daß nicht nur

20

das Plakat, sondern auch Demoteil- nehmerirmen in die Straßenbahn ge¬ zogen wurden, setzte man sich auf die Straßenbahnschienen und blockierte, begleitet von Sprechchören „Stasi raus" die Weiterfahrt der Bahn. Als klar war, daß niemand ln die Bahn ge* zerrt wurde, lief man weiter, ohne Pia* kat aber verknüpft durch das regen¬ bogenfarbige Bäzidemetz.

Am Peters st ein weg, neben dem Po¬ lizeipräsidium, zeigte sich dann die er¬ ste Polizeikette. Mit dem Gummiknüp¬ pel an der Seite harrten die Polizisten der Demonstranten, die doch „nur** Demokratie wollten. Der Zug entging der Auseinandersetzung, indem et einfach in eine Nebenstraße einbog. Doch auch an deren Ende zeigte sich nach einiger Zeit eine Polizeikette, die die Demonstrantinnen wiederum zu einer Wegesänderung zwang. Ver¬ zweifelt suchte man nach einer Lö¬ sung und war mehr als beglückt, als sich Rettung in Form det Petrikirche zeigte. Mit einem „Kyrie Eleison*' zo¬ gen die Hunderte in die Kirche und verärgerten damit manchen Ausstel¬ lungsbesucher. Im Kircheninneren zog wieder etwas Ruhe in die erregten Menschen, und so konnte man das Ge¬ schehene reflektierten. Besonders er* freulich, daß auch die älteren Men¬ schen bis zum Schluß geblieben wa¬ ren. Ein deutliches Zeichen, daß sie mit dem Ablauf einverstanden waren. Sicher kormten an diesem Tag so man¬ che Ängste vor den „staatsfeindlichen Gruppen" abgebaut werden.

In dem abschließenden Fürbittge¬ bet wurde auch die Angst vor dem Bau eines Atomkraftwerkes in Börln bei Leipzig laut.

(Siehe zu -dem Komplex Repressio¬ nen in Leipzig im Zusammenhang mit den Fried ensgebeten die Mitteilun¬ gen der AG zur Situation der Men¬ schenrechte.)

8.-9, Juli

Die Arbeitsgruppe Menschenrechte und der Arbeitskreis Gerechtigkeit gestalten in der Lukasldrche einen von insgesamt etwa 2 500 Personen besuchten „Statt-Kirchentag“, nach¬ dem die Kirchentagsleitung den „Markt der Möglichkeiten" aus dem offiziellen Kirchentagsprogramm ge¬ strichen hatte. Die sächsische Kii- chenleitung unterstützte indirekt ge¬ gen den Vorbereitungsausschuß des Kirchentages den „Statt -Kirchentag" und betrachtete ihn als genuinen Be¬ standteil des offiziellen.

Stände, Vorträge. Diekuseionen und Ausstellungen über Menschenrechts¬ fragen, nSolidamoäc« in Polen, alter¬ native Kunst und Kultur, den konziüa- ren Prozeß und die Ereignisse der letz¬ ten Monate {China, Kommunalwahl etc.) boten ausreichend inhaltliches Profil, welches sich wohltuend von den Gegenkirchentagen („Kirchentag von Unten") 1988 in Halle und 1987 in Berlin abhob. Neben Vertretern der

aktivsten kiichennahen und kirchli¬ chen Friedens-, Menschenrechts- und Umweltgruppen waren auch promi¬ nente Gäste, so Erhard Eppler, Paul Österreicher, Hester Minnema (Inter¬ nationale Helsinki-Föderation für Menschenrechte) gekommen, um sich über geeeUschaftliches Engagement in der DDR zu informieren bzw. Vor¬ träge zu halten.

4.9.

Nach dem Friedens gebet einen Tag nach der Eröffnung der Leipziger Herbstmesse versammeln sich etwa 800 Bürger Leipzigs auf dem Nikolai¬ kirchhof zu der nun schon traditionel¬ len Messedemo. Mitarbeiterinnen ei¬ ner Leipziger Menscheniechtsgiuppe halten Plakate hoch, mit denen sie VersammJungsfreiheit Vereini¬ gungsfreiheit", „Für ein offenes Land mit freien Menschen“, „Reisefreiheit statt Massenflucht“, „Gegen den Strom freies Reisen für alle", „Reise¬ freiheit Grundfreiheit für jeden Bür¬ ger in der DDR auch in den nichtsozia- iistischen Westen. Mehr Demokratie - Reformen fordern. Nach wenigen Mi¬ nuten werden ihnen die Plakate von Sicherheit 5 kräften in Zivil entrissen. Unter den Augen der Kameras der Weltöffentlichkeit geht die Polizei nicht brutal wie vor dem Sommer ge¬ gen die Demonstranten vor. Etwa 200 Personen zogen danach noch Rich¬ tung Hauptbahnhof, um „Freie Fahrt bis Gießen“ zu fordern. Erst am Hauptbahnhof kam es zu gewalttäti¬ gen Übergriffen von Seiten uniformier¬ ter und ziviler Sicherheitskräfte, nach¬ dem kein Journalist mehr anwesend war.

Am Abend versammeln sich mnd 500 Menschen in der Reformierten Kir¬ che, um einen Vortrag Friedrich Schor- lemmeis ober „Thesen zur gesell¬ schaftlichen Erneuerung" zu hören.

Wie bereits bei den Berliner Semina¬ ren „Wenn Abgrenzung zum Prinzip wird" am 13, August und dem Men¬ schenrechts seminar am 26. /27. Au¬ gust aus Anlaß das 200. Jahrestages der Französischen Revolution wird deutlich, daß die Gründung oppositio¬ neller Parteien und Vereinigungen kurz bevorsteht- -l.m.*

DDR - Unabhängige Gewerkscha ften

Unabhängige Gewerkschaften

Im folgenden will ich versuchen, ei¬ nen ersten Überblick über die Ent¬ wicklung in den Betrieben zu geben. Ein umfassender Überblick ist zur Zeit kaum möglich.

Später als bei den neuen Parteien und politischen Organisationen kam es zur Gründung von »unabhängigen Gewerkschaften« in einzelnen Betrie- hen und zur Bildung von Initiativen für unabhängige Gewerkschaften, sowie zur Wahl von Betriebsräten. Die Be¬ legschaften hatten bei der Revolution und den Demonstrationen im Oktober und November einen großen Anteil. Es ist dem Eingreifen der großen Leip¬ ziger Belegschaften zu verdanken, daß die SED die „chinesische Lösung" nicht wagte. Das folgende Interview gibt einen Einblick in di© Probleme in den Betrieben und auch in die SchiAhe- rigkeiten ün Kampf für die Auflösung des FDGB, die Beschlagnahme des Vermögens und für den Aufbau unab¬ hängiger Gewerkschaften.

»Unabhängige Betriebs¬ gewerkschaft Reform«

Am 17. 10. wurde die »Unabhängige Betliebsgewerkschaft Reform« des VEB GRW Teltow gegründet, ln ihrem Gründungsaufruf heißt es: -In der Ge¬ wißheit, daß der Freie Deutsche Ge- werkschaftsbund nicht die Interessen der Mehrheit der Werktätigen in der

DDR wahmimmt, nicht ihr Vertrauen genießt und sich stattdessen als Bündnispartner der SED begreift, ha¬ ben wir... beschlossen, aus dem FDG6 auszu treten und die unabhängige Be- triebsgewerkschaft iReformt zu grün¬ den. Diese Betriebsgewsrkschaft ist „allein ihren Mitgliedern verpflichtet und wird sich nicht den Beschlüssen von Parteien und Organisationen un¬ terordnen“. Sie fordert u.a. das Streik¬ recht, die Eigenständigkeit der Be¬ triebe, Abschaffung der Privilegien einzelner Personen und ganzer gesell- schaftlichei Gruppen, und die Aufhe* bung jeglicher Reisebeschränkung für alle Bürger.

»Initiative für unabhängige Gewerkschaften«

Parallel dazu büdete sich ln Berlin ein Kontaktbüro »Initiative für unab¬ hängige Gewerkschaften«. Es rief zur Bildung von unabhängigen Gewerk¬ schaften auf (siehe Auszüge aus dem Aufruf nebenan^ Dieser Aufruf wurde auf der Protestdemonstration am 4, November ln Berlin verteilt. In einem späteren Flugblatt ist festgehalten, „daß der FDGB als gewerkschaftliche Interessenvertretung versagt hat und daß gerade in der heutigen Zeit sich ahzeichnende Veränderungen im Steuerrech l, Arbeitsrecht, Entloh¬ nung usw. eine echte, unabhängige Gewerkschaft nötiger denn ;e ma¬

chen". Dieser Initiative geht es

um ©ine Arbeite Vertretung, die unabhängig von Partei, Staat und Be¬ triebsleitung ein Micsprache- und Ent¬ scheidungsrecht bei allen betriebli¬ chen Angelegenheiten wie Einstel¬ lungen, Kündigungen, Urlaubsan- spnjchen, Arbeitsorganisation, Ar- beitS“ und Lebensbedingungen, Ge- sundheits- und Arbeitsschutz, vor al¬ lem auch bei der Verteilung der be¬ trieblichen Fonds einschließlich der Bildung und Verwendung der Ge¬ winnabführung der Betriebe, hat,

um eine Öffentliche Kontrolle über alle wirtschaftlichen und technischen Angelegenheiten des Betriebes, der staatlichen Leitungstätigkeit und der Gewerkschaft,

um eine direkte und geheime Wahl der staatlichen Leiter aller Ebenen un¬ ter mehreren Kandidaten,

um Einstellung und beruflich© Aufstiegschance für alle Werktätigen nach fachlichen Gesichtspunkten, ohne Berücksichtigung ihrer Zugehö¬ rigkeit zu einer Partei oder Massenor¬ ganisation.

um die Aufnahme der Tarifver¬ handlungen durch zu wählende Kom¬ missionen zur umgehenden Neuge¬ staltung der Rahmenkoßektiweiträge und BGtriebskollGktiwertzäga, ein¬ schließlich einer Urabstimmung über die Annahme der Verträge unter der Belegschaft,

um ein Recht auf Versammlungs-

__ X _ _ _

Aufruf der »Initiative für unabhängige Gewerkschaften«

Kolleginnen und Kollegen!

Was hat der FDGB in 40 Jahren für uns getan?

Hat er die Frage der Arbeitszeitverkürzung als ständige Forderung an die Betriebsleitungen gerichtet?

Warum hat er nicht die 40 -Stunden -Woche mit uns erkämpft?

Hat er dafür gesorgt, daß unsere Löhne der schleichen¬ den Inflation angepaßt werden?

Warum sind nicht ständige Tarifverhandlungen über Lohnerhöhungen geführt worden?

Wo stehen die Funktionäre des FDGB, wenn in unseren Betrieben neue Normen eingeführt werden? Auf unserer Seite?

Verhindern sie die Normen, bevor klar ist. daß wir auch entsprechend bezahlt werden?

Wie kann der FDGB als unser angeblicher Interessen- venreier es zulassen, daß wir im Durchschnitt 10 Tage weniger Urlaub haben als unsere Kollegen im Westen?

Hat der FDGB sich für die Herabsetzung des Rentenal¬ ters stark gemacht?

Haben wir schon einmal erlebt, daß die Betriebsgewerk¬ schaftsleitung den staatlichen Plan in unserem Interesse nicht akzeptiert?

Haben wir überhaupt schon einmal erlebt, daß die Gewerkschaft etwas gegen den Staat und die Partei für uns durchsetzt?

40 Jahre ohne eigene Interessenvertretung sind genug I

Wir dürfen uns nicht mehr organisieren lassen, auch nicht von „neuen Männern", wir müssen uns selbst oiga- nisieien.

Die nächsten Jahre werden für uns kein Zuckerschlek- ken.

Die Daumenschrauben sollen angezogen werden.

Die Preise werden steigen, die Löhne kaum. Wenn Sub¬ ventionen Wegfällen, trifft das vor allem uns.

Der Staat fordert Leistung, bald wird er mit Entlassun¬ gen drohen Wir sollen die Karre aus dem Dreck ziehen.

Wenn der Lebensstandard für die meisten von uns nicht erhebbch sinken soll, brauchen wir eigene Interessenver¬ tretungen.

# Beruft Vollversammlungen ein und fordert Rechen¬ schaft von der Betriebsgewerkschaftsleitung.

# Ernennt Kollegen aus Euren eigenen Reihen zu Spre¬ chern.

# Laßt diese KoUegen Eure Forderungen an die Betriebs¬ leitungen stellen.

# Stellt Euch hinter diese Kollegen, wenn sie Schwierig¬ keiten bekommen.

# Macht die Ergebnisse sofort öffentlich, das schützt vor Repressalien.

# Sucht den Kontakt zu Kollegen in anderen Betrieben.

Gründet unabhängige Gewerkschaften!

Kontaktbüro »Initiative für unabhängige Gewerkschaften«

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»Ost-West-Diskussionsforum» Nr. 10

Februar 1990

freiheit in den Betrieben,

um die sofortige Ausweisung der hauptamtlichenFunktionäre von SED, FDJ und DSF aus den Betrieben, Öff¬ nung und BereitsteUung von Betriebs- räumen für alle Parteien, Massenorga¬ nisationen und Oppositionsgruppen nach ArbeitsschJun forderen auBerbe- triebiiche Aktivitäten,

um die sofortige Abschaffung von Privilegien aller Leitungskader,

um die Ausarbeitung eines Streüc- rechcs,

um die Binföhmg der 40-Stunden- Woche,

um die Erhöhung der Mindest- rente und die Herabsetzung des Ren¬ tenalt ers,

um die Übernahme der Betriebs¬ zeitung in die Hände der Gewerk¬ schaft.

um die völlige Offenlegung der Verwendung von Gewerkschaftsgel- dem, einschiieBlich Soli-Beitxäge, keine Abführung von Geidem an den alten Gewerkschaftsapparat bis zur endgültigen Xlärung der Verwen¬ dungszwecke!

um die schnelle Kontakts ufnahme zu anderen Gewerkschaften und Be¬ trieben innerhalb und auBerhalb unse¬ res Landes. Solidarität muß seinl "

In einem weiteren Rugblatt defi¬ niert sie «Erste Schritte«. Dazu wird vorgeschlagen, sich „in kleinen Grup¬ pen'* zusammenzu schließen, „Abtei- lungs- und BerriebsbeJegschaftsver- Sammlungen*" einzuberufen, neue Vertrauensleute zu wählen. „Für di© Verhandlungen mit dem alten Ge- werkschaftsapparat und den Be¬ triebsleitungen bezüglich eventuell einzugehender Kompromisse halten wir folgenden Grundsatz für notwen¬ dig;

Die Gewerkschaft muß für die Werk¬ tätigen da sein, und nicht die Werktä¬ tigen für die Gewerkschaft oder gar für einen schmarotzenden Apparat) "

Im Dezember erschien ein erstes Info der »Initiative für unabhängige Gewerkschaften« . In diesem Info wird u.a. gefordert;

Freigabe der Betriebswandzei- tungen für die freie Meinungsäuße¬ rung (...) sowie die Übernahme der in SED-Hand befindlichen Betriebszei¬ tung durch Gewerkschaftsvertreter (...).

keine Einflußnahme der staatli¬ chen Leitungen auf die gewerkschaft¬ lichen Beschlüsse,

- mehr Einfluß der Gewerkschaften auf den staatlichen Plan. Offenlegung der Daten über betriebliche Gewinne

- direkte Wahl der Leitungen ( ..),

- Garantie der Vollbeschäftigung, —materielle soziale Sicherung. *'

Des weiteren fordert die Initiative, daß über den Verkauf von „Betrieben oder BetriebsteiJen an westliche Un¬ ternehmer" die „Belegschaften zu entscheiden" haben. „Solche Fragen

22

dürfen nicht länger hinter verschlos¬ senen Türen geregelt werden. Die Er¬ fahrungen in Polen und Ungarn zei¬ gen. daß sogenannte Joint-ventures (...) nicht unbedingt Vorteile für die Belegschaften brmgen. "

Betriebsräte

Daneben bilden sich eine Vielzahl von Betriebsräten, die sehr unter¬ schiedliche Aufgaben übernehmen. Das Ausmaß dieser Bewegung und der unterschiedlichen Aufgaben, die sie übernehmen, ist kaum nachzu- zeichnen. Allein in Karl-Marx-Stadt gibt es in etwa 40 großen und mittle¬ ren Betrieben Initiativgruppen für Be¬ triebsräte (»TAZ«, 24. 1. *90). Auch Thomas Rudolph weist in seinem In¬ terview für diese Ausgabe des »>Ost- West-Diskus Sions fomm« auf die Be¬ deutung der Betriebsräte für die Stadt Leipzig hin.

Es gibt bei den verschiedenen Be¬ triebsratsgründungen des öfteren die Tendenz, nach westlichem Vorbild, sozusagen im Rahmen eines bis heute in der DDK nicht existierenden Be¬ triebsverfassungsgesetzes zu han¬ deln. Es gibt in den verschiedenen Statuten von Betriebsräten immer wieder den Hinweis, nicht nur für das Wohl der Werktätigen, sondern für das Wohl des gesamten Betriebes handeln zu wollen. So heißt es in dem am 4, 12. veröffentlichten Programm des Provisorischen Betriebsrats des VEB GRW Teltow u a., daß er „an der Umgestaltung des Betriebes und Or¬ ganisation einer marktgerechten Pro¬ duktion mit wirken will. Ausdrücklich will er die „Betriebsleitung bei ihren Bemühungen, zu unserem Vorteil mit westlichen Firmen zusammen zu ar¬ beiten *' . unterstütz en.

Daß dies nicht überaU so gesehen wird, wird in einem Interview mit dem Betriebsratsmitglied der >il. Chemnit¬ zer Maschinenfabrik u, Lothar Leh¬ mann, deutlich. Er führt auf die Frage nach der Rolle des bundesdeutschen B etii ebsverf as sungsge setzes au s : „Wir haben uns den Text von der IG Metall besorgt. Ich meine, wir brau¬ chen das Rad ja nicht neu zu erfinden. Da es bei uns andere Eigentumsver¬ hältnisse gibt, müssen wir natürlich ein anderes Gesetz ausarbeiten. ** (»TAZ«. 24. 1.’90.)

Unter den Bedingungen der neuen Eigentumsverhältnisse werden natür¬ lich auch die Aufgaben von Betriebs¬ räten neu zu bestimmen sein. Wird es nicht die Aufgabe der Betriebsräte sein, die Produktion zu koz^t^oU^eren und in di© Hand zu nehmen, und so der Mißwirtschaft der Bürokratie ein Ende zu setzen? Müssen sie nicht beginnen, die existierenden Betriebsleitungen zu kontrollieren?

DerFDGB

Das Problem bei allen diesen Initia¬ tiven scheint der FDGB selbst zu sein.

Der FDGB hat zwar - nach eigenen Angaben - 900 000 Mitglieder bis Ende November verloren, d.h. fast 10 % . Die Beiträge werden weit weni¬ ger abgerechnet. Er hat ca. 1/4 seiner Einnahmen verloren. Er verfügt aber über ein eigenes Vermögen von über 4,2 Milliarden Mark. Man fragt eich, mit welchem Recht? Ei verfügt z.B. auch weiterhin noch übet das Recht, die Ferienplätze zu verteilen und orga- lüsiert noch die Sozialversicherung.

Der FDGB wendet sich natürlich sehr scharf gegen die Bildung neuer Gewerkschaften und Betriebsräte. In einer schon bösartig zu nennenden Kampagne versucht er, die neu gebil¬ deten Strukturen zu diskreditieren. So berichtet er in seiner Zeitung »Tri¬ büne« vom 27. 12. '89 in einem Artikel über den oben genannten „Piovisoii- schen Betriebsrat * irr Teltow unter dem Titel: „Ein Provisorium will sich auf Eis legen. " Sie werfen den Irütiato- ren der unabhängigen Gewerkschaft »Reform« und des Provisorischen Be¬ triebsrats vor, die Gewerkschaften spalten zu wollen.

Das ist die Hauptposition des FDGB. So heißt es in der Erklärung des FDGB zum Jahieswechsel: „Beherrschen¬ des Thema wird die Bewahrung der Einheit in unserem Gewerkschafts- bund in all ihrer Vielfalt und Wider¬ sprüchlichkeit sein“ (»Tribüne«, 29- 12. '89). Der Betriebsrat wird als Kon¬ kurrenz zur Betriebsgewerkschafts¬ leitung gesehen. Und als solches wird er vom FDGB abgelehnt.

Der FDGB gibt vor. sich selbst zu re¬ formieren. Die Rolle der Einzelgewerk¬ schaften soll im Gegensatz zum Ge¬ samtverband gestärkt werden. Auch fordert er inzwischen das Streikrecht, obwohl et praktisch gegen die zuneh¬ mende Streikbewegung Anfang Ja¬ nuar polemisiert: So lautet die Über¬ schrift eines Artikels über die Streiks in Gera: „Spontane Streiks in der Re¬ publik: Jeder macht, was er xvfll Ist das der Weg? Produktionsausfaü und mangelnde Versorgung - Scha- denfürvieJe" (»Tribüne ir, 17. 1. '90).

Inzwischen liegt auch der Entwurf für eine neue Satzung des FDGB (»Tri¬ büne«, 5. I. 1990) vor. Dort heißt es zwar, daß der FDGB die „persönlichen und kollektiven Interessen seiner Mit¬ glieder und der anderen Werktätigen vertritt. Aber ihre Durchsetzung wird an das „Prinzip des Interessenaus¬ gleichs" gebunden. Wer entscheidet zu Gunsten welcher Interessen und unter wessen Kontrolle? Auch das Streikrecht wird nur als „äußerstes Mittel zur Durchsetzung" der Forde¬ rungen bejaht.

Ei selber definiert sich als unabhän¬ gig von Staat, Wirtschaft, allen Par¬ teien, Organisationen und Bewegun¬ gen. Man darf aber nicht übersehen, daß z.B. der FDGB aus dem »Runden Tisch<c rausgeflogen ist, weü sein Ver-

DDR Unabhängige Gewerkschaften

treter Mitglied der SED ist («Tribüne« , 28. 12. 1989).

Der FDGB stand schon immer gegen die unabhängige gewerkschaftliche Organisie¬ rung der Kollegen

Der FDGB ist 40 Jahre lang willfähri¬ ger Gefährte der SED gewesen und hat in diesen Jahren immer wieder di© Politik der SED gegen die Kollegen durchgesetzt. Er hat seine Macht durch die Zerschlagung der unabhän¬ gigen Betriebsräte 1948 erhalten. Als die Faschisten vertrieben waren, ha¬ ben die Arbeiter die Fabriken selbst wieder in Gang gesetzt- Um sich zu or¬ ganisieren, wählten sie Betriebsräte, die die Produktion übernahmen. Wie groß das Selbstbewußtsein jener Be¬ triebsrat© war, zeigt ©in Zitat aus dem Februar 1946. Auf dem ersten Ge¬ werkschaftskongreß erklärte ein Dele¬ gierter von den Rostocker Werften: „Nichts kann im Betrieb geschehen, ohne daß der Betriebsrat seine Zu¬ stimmung gegeben hätte, sei es was die Produktion angeht, sei es was dj'e Arbeit angeht- Die Betriebsleitung kann weder mit einem Abnehmer aus dem zivilen Sektor, noch mit einem Vertreter der russischen Armee Ge¬ spräche führen, ohne daß ein Delegier¬ ter des Betriebsrats daran teilnimmt. (Protokoll des 1- FDGB -Kongreß, Ber- bn 1946, S. 149.}

Schon sehr schnell versuchten die

Alliierten, diese Bewegung einzudäm¬ men, Am 1. April 1946 legalisierte der Alliierte Kontrollrat per Dekret die Be¬ triebsräte. Aber den Betriebsräten wurde nur noch ein „Mitbestim- mungsrecht“ zugestanden.

Gleichzeitig bildeten kommunisti¬ sche, sozialdemokratisch© und christ¬ lich© Gruppen eine Gewerkschafts- kommission und vereinigten so in den ersten Nachkriegs monaten die alte deut s che G ewerkschaf tsbe wegung . Im Prozeß der Zwangs Vereinigung von SPD und KPD wurde auch der neu¬ gegründete FDGB zu einem reinen Or¬ gan der SED. So veränderte sich der Vorstand des FDGB in Berlin wie folgt:

Vorher: KPD: 14, SPD: 13. CDU: 3

Nachher; SED: 24, SPD: 3. CDU: 3

()j B erliner G ewerksch af tsge-

schichte von 1945 bis 1950«, Berlin, 1971, S- 61.)

Die Betriebsräte dagegen blieben weiterhin ein Organ der Arbeiter selbst. Ab Sommer 1946 versuchte die SED, diese Betriebsräte systematisch unter ihr© KontroU© zu bekommen. Da das nicht gelang (bei den Betriebs¬ ratswahlen im Juli 1947 waren ca, 40 % der gewählten Betriebsräte par¬ teilos), beschnitten sie ab 1947 ihre Rechte und ersetzten sie nach und nach bis 1948 durch die Betriebsge¬ werkschaftsleitungen. Die Arbeiter reagierten aui die Auflösung der Be¬ triebsräte mit reiner Opposition. Bei den Wahlen zur BGL z.B. in Leuna wa¬ ten 25 % der Stimmen ungültig-

Der FDGB ist also mit zwei Geburts¬ fehlern entstanden:

- einmal ist er als Organisation ent¬ standen im Rahmen der Zwangsver¬ einigung und damit der Teilung der deutschen Arbeiterbewegung;

zum anderen ist er aus der Auflö¬ sung der Organe der Arbeiter —der Be¬ triebsräte - hervorgegangen.

Der ni. FDGB-Kongreß 1950 er¬ kannte dann schließlich die führend© Rolle der SED an. Der FDGB erwies sich als staatliche Zwangsoiganisa- tion-

Fragen an die westdeutschen Gewerkschaften

Es ist verständlich, daß die Entwick¬ lung in der DDR auch zu neuen Frage¬ stellungen in den Gewerkschaften in der Bundesrepublik führte. So wollen die Unternehmer die Entwicklung in der DDR nutzen, um von den west¬ deutschen Gewerkschaften er¬ kämpfte soziale Errungenschaften und Rechte anzugreifen. Die DDR als Billiglohnland in Europa hätte unüber¬ sehbare Konsequenzen für die Ent¬ wicklung in Westdeutschland; Pro¬ duktionsverlagerungen und weitere st eigende Arbe it slo senza hlen werden die Folge sein.

Wie kann nun ein zweifellos drin¬ gend erforderliches gemeinsames ge¬ werkschaftliches Handeln der Kolle¬ gen in Ost und West gegen di© Unter¬ nehmerstrategie verwirklicht wer-

Auszug aus einem Flugblatt aus Leipzig

Die Kollegen verlassen den FDGB - aus gutem Grund! Üje Werktätigen wollen eine unabhängige Interessenver¬ tretung, eme unabhängig© Gewerkschaft! Unabhängig von SED-PDS. Parteien, Staat und Kirche. Unabhängige Gewerkschaften, das heißt:

- Demokratie! Alle Entscheidungen müssen demokra¬ tisch von unten von den Kollegen getroffen werden.

- Eine Gewerkschaft, di© demokratisch aufgebaut ist und in der alle Entscheidungen von den unabhängigen Interessen und dem Willen der Kollegen selbst ausgehen. Diskussion und Entscheidungen über die Forderungen und die Aktionen selbst.

- Vollständige demokratisch© Kontrolle der Basis über die Verwaltung und Verwendung der Mitgliedsbeiträge.

Eine solche unabhängige Gewerkschaft verlangt die Wahl aller Organe durch die Kollegen. Dazu folgender Vorschlag:

1. ) Organisierung und Abteilungsversammlungen in der Größenordnung von 155 Kollegen zur Erfassung der Probleme und Mißstände und zur Aufstellurrg der Forde¬ rungen der Kollegen - Wahl eines gewerkschaftlichen Vertrauensmannes, der das Mandat erhält für die Vertre¬ tung der beschlossenen Forderungen und gegebenen¬ falls jederzeit durch die Kollegen abg ©wählt werden kann.

2. ) Veröffentlichung der Diskussionseigebmsse und

der Beschlüsse der ge samten Abteilung© Versammlungen in einer unabhängigen gewerkschaftlichen Betriebszei¬ tung, unter der Verantwortung der gewählten Vertrau¬ ensleute- Einberufung durch Vollversammlungen der

gesamten Belegschaft unter der Verantwortung und Lei¬ tung' der gewählten Vertrauensleute und der von ihnen gewählten Leitung zur

Diskussion und Beschlußfassung über das Aktions¬ programm der Belegschaft-

- Verpflichtung der gewählten Vertrauensleute und der unter ihnen gewählten Leitung der Vertrauensleute und des Betriebsrates auf dieses Programm.

- Kontrolle der Betriebsleitung: diese muß der Demo¬ kratie unterworfen werden. Wahl einer Betriebsleitung auf einer weiteren Belegschafts Versammlung; die neuge¬ wählte Betriebsleitung wird der KontroD© der Vertrau¬ ens! euteleitung / des Betriebsrates unterstellt.

- Aushändigung des gesamten Vermögens, der Räume des technischen Apparates der bisherigen FDGB/SED an die demokratisch gewählte gewerkschaftliche Interes¬ senvertretung der Belegschaft an die Vertrauensleute- leitung / Betriebsrat.

Mitteilung über die Organisierung und die Ergebnis¬ se der Abteilungs Versammlungen und die Vorbereitun¬ gen der Belegschaftsversammiungen an alle örtlichen und regionalen Betriebe des gleichen Kombinates und des gleichen Industriegewerkschafts zweig, mit der Auf¬ forderung an di© dortigen Kollegen, ebenso vorzugehen. Entsendung von Delegationen zu diesen Betrieben.

Kontaktauf nähme mit den entsprechenden Betrieben und den unabhängigen DGB -Gewerkschaften in West¬ deutschland für die solidarische Zusammenarbeit und zur Kontrolle aller Beziehungen zwischen diesen Betrieben in West und Ost.

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»Ost^West-Diskussionsforum« Nr. 10

Februar 1990

den? Der DGB erklärt seinerseits, mit dem FDGB ein „breit gefächertes Ko~ opera tionsabkommen ab schlieJ^e n zu wollen. Steinkühler von der west¬ deutschen IG Metall erklärt, daI3 die IG “Metall ih rer Sch westerorgan isa- tion in der DDR mit Rat und Tat zur Seite stehe. 33 Betriebspartnerschaf* ten sind schon angebahnt, sowie ge¬ meinsame Schulungen und „Trai¬ nee '‘-Programme für DDR-Funktio- näre.

Etwas anders geht die OTV an die Sache heran. Die ÖTV-Vorsitzende Wulf-Mathies schreibt in einem Rund¬ schreiben, daß die ÖTV zu allen „Kräf¬ ten " Beziehungen aufbauen will, „die Kristallisationspunkte für eine freie und unabhängige Gewerkschaftsbe¬ wegung sein könnten " . Die IG Chemie hält eme Zusammenarbeit mit dem Haupt verstand der FDGB-IG-Chemie für selbstverständlich, will aber auch

ein „Beratungsbüro“ in Leipzig für Be¬ triebsräte eröffnen.

Doch der FDGB ist nicht die Kampf¬ organisation, wie sie die Kollegen zur Verteidigung ihrer Interessen brau¬ chen. Er ist auch weiterhin ein Arm derselben SED in den Betrieben, die heute mit den Unternehmern die Ver¬ träge für die Bildung von » Joint- ven- tures<( abschließen. Was ist von Leu¬ ten wie dem neuen IG-Metall-Vorsit- z enden der DDR zu halten, die schon heute erklären, daß ihre angestrebten Reformen dazu führen werden, daß es „Leute geben (wird), die durch das Netz der Sozialpolitik durchfallen wer¬ den“?

Wie können der DGB oder auch die IG Metall sich in dieser Situation mit dem FDGB als „Schwesteroiganisa- tion'' verbinden, statt den Kollegen in der DDR— im Respekt vor deren demo¬ kratischen Entscheidung beim Auf¬

bau eigener unabhängiger gewerk¬ schaftlicher Organisationen zu hel¬ fen?

Kail Pitz, Mitarbeiter in der Wirt¬ schaftsabteilung der westdeutschen IG Metall, zeigt weitergehende Per¬ spektiven auf: „Eine vereinte Arbei¬ terbewegung in der BRD und in der DDR, die solidarisch an einem Strang zieht, ist nicht schwächer, sondern stärker im Gesamtsystem. "

ln den letzten Tagen haben in der DDR die Streiks zugenommen, und in diesen Streiks entstehen Streikkomi¬ tees. Es bilden sich unabhängige Be¬ triebsräte der Kollegen, es gibt An¬ sätze für unabhängige Gewerkschaf¬ ten. Mit ihnen müssen sich die DGB- Gewerkschaften verbinden und sie in ihren Kampf aktiv unterstützen, wenn es zu einer solchen einheitlichen Ge¬ werkschaftsbewegung kommen soll.

g.k.b. -

Zu Fragen der Gewerkschaften und der Betriebsräte

Noch weiß niemand, wie die Wirtschaft der DDR zukünftig organisiert sein wird. Doch soviel ist gewiß, der private Anteil und das Mitspracherecht der Unternehmer bzw. der Betriebsleiter wird steigen. Auch in einer sozia¬ listischen Marktwirtschaft, in der alle Eigentumsformen zulässig sind und ausländisches Kapital eine Rolle spielt, wird ein Arbeitsmarkt entstehen, und Auseinanderset¬ zungen zwischen der Betriebsleitung und der Beleg¬ schaft werden nicht ausbleiben.

Deshalb brauchen wir starke und unabhängige Gewerkschaften. Unabhängig ln dem Sinne, daß sie nicht abhängig von einer Partei werden und damit von dieser Partei manipuliert werden können. Andererseits müssen sie die Interessen der ln ihnen orgarüsierten Werktätigen und darüber hinaus aller Werktätigen vertreten.

Deshalb schlage ich vor:

1 . Die Gründung von BcanchengewetkschafteA mit vol¬ ler Tarif autonomie, d.h. mit dem Recht der vertraglichen Vereinbarung von Löhnen und Gehältern, der Arbeitsbe¬ dingungen, des Urlaubs und der Arbeitszeit.

2. Diese Branchengewerkschaften sollen in einem Dachverband zusammengeschlossen werden, der die Aufgabe hat, gewerkechaftliche Aktionen bzw. Forde¬ rungen zu koordinieren. Dieser Dach verband könnte Rechtsnachfolger des FDGB sein. Möglicherweise sollte die Sozialversicherung unter der Kontrolle des Dachver¬ bandes stehen.

3. Die Gewerkschaften sind die Organisationen in den Betrieben, die die Interessen der Werktätigen wahmeh- men. Part eien haben nur insofern Einfluß, als ihre Mitglie¬ der gleichzeitig Mitglieder der Gewerkschaften sind. Gewerkschaftsfunktionäre dürfen nicht gleichzeitig Par¬ teifunktionäre oder betriebliche Leiter sein.

4. Zur Durchsetzung tariflicher Forderungen muß als letztes Mittel auch das Streikrecht gewährleistet werden. Streiks sind nur dann zulässig, wenn mindestens 2/3 der Mitglieder bei der Urabstimmung für den Streik sind, ln Einzelbetrieben sind nur Kurzstreiks (max. 1 Tag) ztiläs* sig, die auch von 2/3 der Gewerkschaftsmitglieder des zu bestreikenden Betriebes beschlossen werden müssen. Dies ist notwendig, um auf Mißstände in Einzelbetrieben reagieren zu können, wenn kein Gesamtbrancheninter- esse besteht.

5. Das Vermögen des FDGB ist nach der Mitglieder zahl der Branchengewerkschaften aufzuteilen.

6. Die FDGB ‘Ferienheime sind an private Pächter zu vergeben, wobei sich die Gewerkschaften das Options¬ recht Vorbehalten. Die Pächter verpflichten sich, vonan- gig Gewerkschaftsmitglieder und Ihre Angehörigen auf- zunehmen. Die Gewerkschaft zahlt zu den Urlaubskosten einen rxaoh sozialen Gesichtspunkten bestimmten Anteil.

7. Neben den Gewerkschaften wählen die Werktätigen eines Betriebes ihre Betriebsräte als direkte Interessen- vertzeter in geheimer Wahl (nach Belegschaftsversamm¬ lung) für 4 Jahre. Die Betriebsräte sind Mitglieder des Lei¬ tung sgremium der jeweiligen Institution.

Die Betriebsräte sind gegenüber der Belegschaft rechenschaftspflichtig und jederzeit durch die Beleg¬ schafts Vollversammlung abwählbai.

9. Die Betriebsräte haben das Vetorecht bei elementa¬ ren Entscheidungen über das Schicksal der Werktätigen, z.B. bei Lohnkürzungen, Entlassungen, Betriebsstille¬ gungen, bei angeordneten Verstößen gegen den Arbeits¬ schutz.

10. Die Betriebsräte müssen den Jahresplan des Betrie¬ bes mit der Belegschaft diskutieren. Hierzu gehört eine schriftliche Vorlage durch den betrieblichen Leiter. Die Werktätigen müssen dann die Möglichkeit haben, sich eine unabhängige Meinung zu bilden, die von den Betriebsräten zusammengefaßt wird und mit dem Leiter unter Hinzuziehung der Gewerkschafts Vertrauensleute zu einer betrieblichen Vereinbarung beschlossen wird.

Die Rechte der Gewerkschaften und der Betriebsräte und weiter© Bedingungen, wie Notdienst bei Streiks. Gül¬ tigkeit der Tarifverträge, genaue Bedingungen der Wahl von Betriebsräten und Festlegung weiterer Rechte, z.B. einklagbare Rechenschaftspflicht von Direktoren der Betriebe u.a., müssen durch ein von der zukünftigen Volkskammer zu beschließendes Betriebsverfassungs¬ gesetz geregelt werden und laufend an die Entwicklung unserer Wirtschaft angepaßt werden.

Dr. Hans Braselmann

(SDP Lichtenbeig/ Basisgruppe Karls hörst/

Frie drichsf elde)

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DDR - Unabhängige Gewerkschaften

Interview mit einem Beschäftigen in einer Brikettfabrik

Das folgende Interview wurde im Dezember 1989 mit einem Arbeiter aus den Bitterfelder Kraftwerken und Brl« kettfabriken gemacht.

Frage: Wie sehen die Arbeitsbedingungen bei Euch aus?

Antwort: Gearbeitet wird bei uns in rollenden Wochen, 40 Stunden die Woche, d.h. es wird rund um die Uhr gearbei¬ tet, auch sonnabends und sonntags. Es besteht ein fester Tumusplan zum Abfeiern, d.h. einmal 4 Tage Arbeit und 2 Tage frei, einmal 5 Tage arbeiten und 1 Tag frei. In dem Sinn von „großfrei”, wie andere Kombinate es machen, d.h. 7 bzw. 9 Tage arbeiten und dann eine Woche frei, arbeiten wir nicht. Wir arbeiten nach dem festen Turnus 4/2 und 5/1. Das ist das ganze Jahr festgeschrieben. Es gibt direkt einen Dienstplan, wonach sich jeder zu richten hat.

Ich gehe nur auf die Schichtarbeiter ein. Wir haben über- wachungspflichtige Anlagen. Diese Anlagen dürfen nicht verlassen werden, ohne daß ein anderer Kollege diese Arbeit übernimmt. Auf Grund der permanenten Unterbe¬ setzung, die wir zur Zeit haben, können die Leute fast nie zum Essen gehen. Ihre gewerkschaftliche Pause von 20 Minuten können sie nicht nehmen, um zu essen. Es wird also Essen geholt, ln katastrophalen Zuständen, d.h. mit einer Art Schüssel. Bis sie hinten angekommen sind, ist es kalt.

Frage: Was sind das für Anlagen, an denen Ihr arbeitet?

Antwort: Wir fahren Anlagen mit einem Druck von 5,1 Megapascal. 1,6 Megapascal, 1,5 Megapascal. Es ist ein rei¬ nes Gegendnickkraftwerk, Es heißt Gegendruckkraftwerk, weil die Brikettfabriken nachgeschaltet sind. Es wird also Gegendruck erzeugt, um Pressen anzutreiben, Frisch- dampf erzeugt, um Apparate und Trockner in Betrieb zu erhalten. Das ganze Dampfnetz geht durch Turbinen, es wird also Strom erzeugt. In der DDR ist es momentan bis auf wenige Ausnahmen so, daß eigentlich Energie ein Abfall¬ produkt ist, obwohl praktisch permanenter Energiemangel herrscht. Das ist für uns sehr schwierig, weil wir eigentlich mit sämtlichen Kennziffern in der Energie hängen das spielt für den Lohn eine große Rolle. Die Kraftwerke haben die Kennziffer Elektroenergieerzeugung, die Einhaltung der Spitzenzeiten, die festgelegt sind (in den Frühstunden - in den Mittagsstunden...). Dann werden die Turbinen voll ausgefahren.

Frage: Arbeits Sicherheit, wie sieht es damit aus?

Antwort: Unser Werk besteht seit 70 Jahren, und so sieht eigentlich unsere Arbeits Sicherheit aus. Die staatlichen Leiter sind gezwungen, nach DGLs, das sind vorgeschrie¬ bene Standards für den Arbeitsschutz, zu handeln und zu arbeiten. Das ist aber gar nicht möglich. Wenn voU nach der DGL gearbeitet würde, dann liefe gar nichts. Seit 25 Jahren gab es z.B. in allen Kesselanlagen der DDR keine Investitio¬ nen mehl, da —so wurde zumindest gesagt - die Stähle, die wir brauchen, für die Rüstung, d.h. für die Volksarmee gebraucht werden.

Die Anlagen sind zum Teil so weit abgeschrieben und veraltet, daß sie eigentlich nicht mehr laufen dürften. Die Technische Überwachung, die eigentlich eine Stillegung dieser veralteten Maschinen veranlassen müßte, läßt sich immer wieder auf Kompromisse ein. So hatte der Kombi¬ nats direktoi schon vor Monaten erklärt, daß z.B. im Septem¬ ber *89 eine Geneialxepatatut durchzuführen sei, bis dahin sollten wir die alte Anlage noch betreiben. Eigentlich muß* te die Anlage sofort stillgelegt werden, weil der Mensch gefährdet ist. Das wird nicht so gehandhabt. Man sagt sich, vielleicht kommen wir die Tage noch über die Runden. Man sagt, so schlimm ist es nun auch nicht. Gleichzeitig werden immer wieder Rundschreiben verschickt, insbesondere nach Havarien, wo genau aufgeschlüss eit wird, gegen wel¬

che Gesetze verstoßen wurde. Sie „versuchen" dich immer wieder zu überreden, die Anlage so lange wie möglich zu fahren. Es gibt einige Kesselwärter, die sich strikt weigern - aber das tun die wenigsten.

Seit September '89 lauft es ein kleines bißchen anders, weil nun gesagt wird, wir müssen die Kraftwerke unbe¬ dingt in Schwung bringen. Außerdem sagen die Kollegen öfter, daß die Anlage stülgelegt werden müsse. Auch die DGL gibt diesen Kollegen völlig recht, weil sie niemanden fragen müssen, wenn eine Anlage aus Sicherheitsgründen stillgelegt werden muß.

Ich muß dazu sagen, das eigentliche Finalprodukt, d.h. das Brikett, war für die DDR maßgebend. Das kann ich ver¬ kaufen, alles andere kann ich nicht verkaufen. Strom kann ich zwar in die RGW-Leitung einspeisen, aber das war nicht interessant für die DDR. Der schwarze Stein brachte das Geld bzw. die Devisen. Wenn also z.B. Export gefahren wur¬ de, nannte der normale Arbeiter diese Produktion dann „Bananenbriketts'* - denn es wird den Leuten immer gesagt, wenn viel exportiert wird, dann kommen auch die Südfrüchte in die DDR.

Wenn, um auf die Standards zuruekzukommen. die Pro¬ duktion laufen muß, bist Du gezwungen, ständig gegen das Gesetz zu verstoßen. Es existieren Besetzungspläne, wonach die Geräte zu besetzen sind. Dann gibt es Ausnah¬ mepläne. Wenn ich also nicht genügend Leute habe, dann muß ich bestimmte Gerate stillegen. Dann aber kann der Plan nicht mehr erfüllt werden. Wenn also wegen Krankheit z.B. jemand ausfällt, dann geht der Zirkus los. Der Dispat¬ cher muß Leute suchen, damit die Anlagen weiter in Betrieb sind. Dazu muß man sagen, daß ungefähr seit 11/2 Jahren niemand mehr bereit ist, an seinem freien Tag zu arbeiten, wegen der Entlohnung. Es sind so Sachen gemacht worden, daß Leute, die an ihrem freien Tag arbei¬ ten, einen freien Tag bekommen. Nach der Ausreiseweüe ist das gar nicht mehr möglich. Nun sollen die Leute zwi¬ schen 10 und 20 Mark zusätzlich erhalten, je nachdem, wie dringend sie gebraucht weiden. Aber das Geld spielt keine Rolle mehr in der DDR. Wae nützen die 10 oder 15 Mark, wenn Du dir dafür nichts kaufen kannst. Als staatlicher Lei¬ ter bist Du sovrieso gezwungen, arbeiten zu gehen, ohne zusätzliches Geld zu bekommen.

Frage: Wieviel wird im Betrieb verdient?

Antwort: Die Entlohnung des Facharbeiters, das sind Leute mit Mittlerer Reife, liegt zwischen 1 000 und 1 200 Mark. Das ist ganz gut im Vergleich zur restlichen Bevölke¬ rung in der DDR. loi Vergleich zur BRD, wo ein Arbeiter im gleichen Beruf um die 4 000,- verdient, ist es verschwin¬ dend wenig. In den Brikettfabriken haben wir sehr viele angelernte Kräfte.

Es gab bis vor einigen Jahren eine besondere Versorgung für die Bergbaugebiete. Das einzige, was es jetzt noch gibt, ist eine kleine Bevorzugung bei der Beschaffung von PfCWs -das nennt sich ..Prämienwagen“- Aber der normale Arbei¬ ter hat davon fast nie etwas, weil die staatlichen Leiter die unter sich aufteilen und es viel zu wenige gibt. Das sind in einem Betriebstefl ein bis zwei Wagen. Prämienwagen heißt nicht, daß man ihn nicht bezahlen muß, sondern daß man nicht 1 5 oder 1 7 Jahre warten muß.

Frage: Wieviel Beschäftigte habt Ihr, rvie hat sich der Betrieb entvrickelt?

Antwort: In unserem Bereich sind 4 300 Beschäftigte, im ganzen Kombinat sind es ca. 8 500. Früher waren wir ein selbständiges Kombinat, davor ein einzelnes Werk. Mit der Zusammenfassung der Betriebe wurde es schlechter. Die ganze Bestellung läuft über das Kombinat. Das sind sehr langvrierige Prozesse, so daß man sagen kann, das Bestellte kommt nie dort an, wo es hin soll. Es wird unterwegs

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»Osi-West-Diskussionsfomm« Nr. 10

Februar 1990

irgend vvie immer abgefangen. Man mußte zwar schon immer ein Jahr im voraus bestellen, aber nun kann man gar nicht mehr beeinflussen, daß Du das Bestellte irgendwann kriegst. Der MI Leiter (Mechanische Instandhaltung) muß den Leiter mit der Bestellung beauftragen. Aber er hat kei* nerlei Handhabe, in den Prozeß einzugreifen. Wir haben seit zwei Jahren z.B. neue Leuchten, nun sind aber die Ersatz- teile nicht mehr zu erhalten, so daß eine Reihe von Arbeits¬ plätzen im Dunkeln sind. Es sind gar keine Glühlampen mehr da. Wir mußten also selber etwas neues erfinden.

Auch der Leiter hat wenig Einfluß auf die ganze Sache. Ich sehe das so: Bei uns gibt es zu viele Fachdirektoren, die eigentlich nicht vom Fach sind. Das sind eingesetzte Leute. Als ich vor 29 Jahren anfing, gab es einen Direktor, der hatte einen Stellvertreter, und dabei blieb es. Dann gab es noch die einzelnen Werksleiter und Betriebsstellenleiter. Heute ist es so, daß der Direktor vier Stellvertreter hat und die Stellvertreter wieder Stellvertreter haben, und dann kom¬ men die Fachdirektoren. Die Fachdirektoren sind auch bestrebt, so viel wie möglich zu verdienen, und da geht die Schlamperei schon los. Es wird keine reelle Abrechnung betrieben, denn die Fachdirektoren erhalten eine leistungs¬ orientierte Gehaltspramie, die sehr hoch ist. Deshalb wer¬ den falsche Zahlen gemeldet.

Frage: Was hat sich mit der Wende geändert?

Antwort: Genau das mit den falschen Zahlen ist bei einem der ersten Poren, die wir nach der Wende in unserem Betrieb abgehaiten haben, zur Sprache gekommen. Der Betriebsdiiektci hatte eine Untergebene aufgefoidert, fal¬ sche Zahlen zu melden. Er hatte nicht daran gedacht, daß das die Tochter eines Volkskammerahgeordneten ist. Sie verweigerte die Weitermeldung der Zahlen, die total frisiert waren. Erforderte sie daraufhin auf. die Partei zu verlassen, was sie auch getan hat. Sie hat das an die große Glocke gehängt. Dem Direktor ist aber eigentlich nichts passiert.

Vor dem ersten Forum in unserem Betrieb wurden die APO’Sekretäre und die GO-Sekietäre vollkommen eüige- spart, also entlassen. Sie wurden nicht umbesetzt, zumin¬ dest nicht bei uns. Sie mußten sich eine andere Arbeit suchen. Der von uns arbeitet letzt Inder Fabrik als Arbeiter, auf der niedrigsten Stufe. Das ist die kleine Rache des Betriebsleiters dort. Dieser da dachte so: Jahrelang hast Du nichts gemacht, und ich denke nicht daran, Dich jetzt wie¬ der an eine Stelle zu setzen, wo Du wieder nichts machst.

Aber das Gros der Leitung ist noch da. Es sind zwar Köpfe gefallen, es sind viele zurückgetreten, wie z.B. der Partei¬ sekretär der zentralen Parteileitung, der auch viel Dreck am Stecken hat, sowie andere, die sich viele Sachen unter den Nagel gerissen haben. Die Gewerkschaft ist zum Teil umbe¬ nannt und umgestaltet worden. Doch das Gros ist noch da. Der Betriebsdirektor ist noch da, die Stellvertreter sind da und haben immer noch das Sagen. Es hat sich seit Oktober in diesen Bergbaubetrieben eigentlich noch nichts getan, weil sie auf irgendeinen Fingerzeig von oben warten, vrie es eigentlich j et zt weitergehen soll.

Nun muß ich auch dazu sagen, daß diese Betriebe schwie¬ rig 2u leiten sind, weil sie immer abhängig von der Regie¬ rung sind. Man könnte eigentlich sagen, daß man den Laden von heute auf morgen dicht machen könnte.

So wurde auf dem ersten Forum verlangt, die Pläne voll¬ ständig zu ändern, weil wir nach vollkommen falschen Plä¬ nen arbeiten. Dem wurde nicht entsprochen. Die staatliche Leitung hat die November- und Dezember-Pläne geändert, aber das nutzt nichts, weil der staatliche Plan welterläuft. Den Staatsplan erreichen wir nicht, und das ist auch die Angst der Kollegen. Denn Du erreichst damit ja auch keine Planerfüllung und so auch nicht die Auszahlung der Jahres¬ endprämie. Die Jahresendprämie muß erwirtschaftet wer¬ den. Wir haben seit 5 Jahren schon eingefrorene Jahresend¬ prämien, d.h. die 800 Mark-Grenze darf nicht überschritten weiden. Wir gehen von der Erfüllung 1982 aus. Das war eins der schlechtesten Jahre. Die Prämie vsrird dann auf die einzelnen Lohngruppen aufgeteilt.

Nach der Wende sind die Arbeiter selbstbewußter

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geworden. Aber die Pläne und der Arbeitsablauf haben sich nicht geändert. Die Plandiskussion für das Jahr 1990 ist auch schon gelaufen, und zwar vorher. Es gibt keine Mög¬ lichkeit, das zu korrigieren, Auch der Betriebskollektivver¬ trag ist abgeschlossen. Das gilt ebenfalls für die Küche. Die Beschwerden häufen sich, aber der Zuschuß des Betriebes ist einfach zu niedrig.

Frage: Wie hat das Forum in Eurem Betrieb ausgesehen? Wer hat es einberufen?

Antwort: Es wurden alle Leute durch die BGL und GO- SeKretäre aufgerufen. Diese standen auf der Versammlung selbst im Hintergrund. Die Versammlung hat ein Genosse aus dem Kulturhaus geleitet. Dazu wurden verschiedene Leiter als Präsidium geladen. Ein großer Teil ist nicht erschienen, so z.B. der Betriebsdirektor. Es sollte eine Art Meinungsforschung getrieben werden. Schon vorher wur¬ den sozusagen kleine Spione vorausgeschickt, um die Mei¬ nung in den Kollektiven auszuspähen. Die Kollegen wurden über ihre staatlichen Leiter aus gehorcht, sowie über den APO und AGL ausgeforscht. Ich konnte einige fachliche Sachen über den Produktionsablauf anbringen. Sie sagten daraufhin, das wäre ja ganz interessant. Nun ist es ja nicht so, daß bei uns diskutiert wird. In den Oewerkschaftsgrup- penvereammlungen kommen die Probleme zur Sprache, aber sie werden nicht zur Kenntnis genommen, bzw. weder die Verantwortlichen von der BGL noch von der Partei sind da. Die Probleme werden auf einem Mitteilungsblatt auf ge¬ listet, das aber dann irgendwo in der Versenkung ver¬ schwindet. Daran hätten sie eigentlich merken müssen, was so läuft, denn der Kumpel hat eine gute Vorstellung und weiß auch ganz genau, wie es laufen müßte. Aber das wird nicht zur Kenntnis genommen.

Das ganze Forum wurde auf Band mit ge schnitten, was nicht erlaubt ist. Dagegen standen die ersten Kollegen auf und protestierten. Das Band vsruide danach vernichtet, und die Vernichtung wurde kontioUiert. Es lief wie schon immer unter Leitung der SED. Dagegen haben Kollegen aus den untersten Schichten protestiert, Sie haben direkt bestimmt, wie die Versammlung abzulaufen hat. Sie haben küpp und klar gesagt, jetzt bestimmen wk mal hier, wie das läuft.

Doch es sollte so laufen, daß Sachen zwar angespzochen, aber keine Fragen beantwortet werden. So wurde z.B. angefragt, wieso der 1. Sekretär seinen 50. Geburtstag - von der Partei bezahlt -ün Gästehaus des Betriebes gefei¬ ert hatte. Er grinste nur wie so ein Honigkuchenpferd. Die Leute haben dann verlangt, daß er Rede und Antwort ste¬ he. Die Antwort war - und das fand ich furchtbar: „Es ist schon ein paar Jahre her, und den sechzigsten Geburtstag feiere ich zu Hause.“ Die Leute haben getobt. Nun ging es darum, daß der Mann, der 800 Meter vom Werk wohnt, jeden Tag mt dem Auto geholt und wieder zurückgebracht wird- Seine Antwort: -Seit gestern Jaufich-*' Es blieb ihm auch nichts anderes übrig, well ich weiß, daß die Kollegen ihn nicht mehr ins Auto ein steigen ließen. Er mußte also zu Fuß laufen.

Das Forum ist nicht von der staatlichen Leitung aus ge¬ gangen. Es ist eine Eigeninitiative des BGL-Vorsitzenden und des GO-Leiters gewesen. Die staatliche Leitung hat erst später nachgezogen, wobei der Direktor auch nicht hin¬ gegangen ist.

Ich wurde zum Forum von meiner Schicht delegiert, wobei man den Zeitpunkt des Forums ungünstig gelegt hat. Der Großteil der Kollegen mußte vorher schon mit den Bussen und Zügen wegfahren. Sie hatten gar keine andere Möglichkeit. Das hat man bestimmt bewußt gemacht. Der Saal war trotzdem voll. Ich habe gestaunt. Die Leute woll¬ ten eigentlich wissen, wie es weitergehen soll. Es wareine Ohnmacht da. Es wurde von niemandem gezeigt, wie geht es eigentlich weiter. Keiner hat mehr was gesagt. Alles wurde in der Vergangenheit nur über die Partei gemacht. Jede Generalreparatur wurde unter Führung der Partei durehgeführt. Deswegen ist es auch schief ge gangen. Die Nichtgenossen haben es auch darauf angelegt. So kam es ln den letzten zwei, drei Jahren zu gravierenden Vorfällen,

DDR - Unabhängige Gewerkschaften

denn diese sagten, was sollen wir uns Gedanken machen, es macht ja sowieso die Partei.

Beschlossen wurde auf der Versammlung nichts. Es wur* den Sachen angesprochen. Zum Beispiel, daß der Sozialisti¬ sche Wettbewerb nicht weiteigeführt werden soll, weil es kein sozialistischer Wettbewerb ist» weil dieser ganze Wettbewerb manipuliert worden ist. Das Neuererwesen hat sich dadurch ausgezeichnet» daß wir das Fahrrad noch einmal erfunden haben. Das, was schon einmal war» kann man neu erfinden und dadurch viel Geld verdienen Das wurde auch abgeschafft.

Frage: Welche Beschlüsse gab es noch?

Antwort: Die sanitäre Emhchtung ist katastrophal. Eine Toilette für 100 Kollegen. Es kam als Antwort: Macht doch einen Neuerervorschlag. Wie soll ich die Toilette neu erfin¬ den?

Die .»Straße der Besten“ wurde sofort abgeschaft. Alles, was AnstoB erregen konnte» wurde ahgeschafft. Die SED hat versucht, die Sachen abzubauen, die ganz gravierend im Vordergrund standen.

So wurde auch das Parteistudium abgeschafft. Das ist ja kein Fachstudium, sondern eben ein Parteistudium, und die Absolventen kommen dann in den Betrieb und richten viel Schaden an. Wir lächeln darüber, daß alle leitenden Posten von der SED besetzt wurden. Ein Ingenieur, der vondei Par¬ tei im Kraftwerk eingesetzt wurde, konnte sich gar nicht wohl fühlen, weil er keine Ahnung von der Arbeit hatte. Er war also auf das fachliche Wissen der Kollegen angewie¬ sen. Das war im übrigen auch unsere einzige Überlebens¬ chance. Wir hatten das Fachwissen.

Aber nur ein Beispiel. Bei Generalreparaturen wurde eine Konzeption, d.h. ein Ablaufplan entworfen. Diese Sachen wurden von diesen Leuten entworfen, die gar keine Ahnung hatten. Wenn sie clever waren, haben sie einfach die alten Protokolle herausgezogen und diese abgeschrie¬ ben. Das ist dadurch auf gef allen, weil dann plötzlich im Ablauf plan Maschinen standen, die schon seit langem nicht mehl existierten.

Weil der Betrieb so alt ist, laufen eine ganze Reihe von Anlagen nicht mehr. Wer durchschaut schon noch die vie¬ len Umschaltmöglichkeiten. Das kennen nur die Kollegen, die 35 Jahre ln dieser Anlage leben. Das ist unser großer Vorteil. Wir zeigen den Leitern das auch nicht. Den techno¬ logischen Ablauf beherrschen wii nicht sie.

Bei Generalreparaturen kommt dann der Direktor und sagt, „wir haben festgelegt...", und dann antworten wir: „Wenn Ihr das festgeJegt habt, dann seht mal zu...", oder wir sagen ihm; „Leg doch mal Dein Parteibuch auf die Maschine, vielleicht geht es dann weiter...“ Dann ver¬ schwinden sie ganz schnell. Der Kollege macht ja, wenn er seinen Triumph gehabt hat, seine Arbeit.

Es ist nun so, daß nach der Wende bei uns alle Leiter ihr Parteibuch geschmissen haben. Das finden wir nicht gut. Eigentlich müßten diese Leute zur Verantwortung gezogen werden für das. was sie uns in den ganzen Jahren einge- brockt haben. Jetzt müßten sie eigentbch mal die Arbeiter werden, und wir müßten mal den Betrieb leiten.

Es ist so. daß wir bestimmen, wie jetzt gearbeitet wird und wie der Betrieb läuft. Früher kam von oben der Plan, und nach diesem Plan wurde verfahren heute geben sie gar nichts mehr heraus. Heute halt man sich im Hinter¬ grund und sagt, die wissen das von ganz alleine. Es läuft jetzt ruhiger und besser, weil der Arbeiter alleine entschei¬ den kann. Der staatliche Leiter gibt nichts mehr vor. Er war derjenige, der aus Unwissenheit das Chaos organisiert hat.

Frage: Warum wird die Betriebsleitung nicht ersetzt?

Antwort: Es ist niemand gekommen, der sich berufen fühlt, es zu machen- Es ist kein Anstoß gekommen, wie bei anderen Revolutionen. Es hat niemand gesagt, jetzt krem¬ peln wir das alles um, jetzt übernimmt der Arbeiter die Macht- Das vriid auch durch das Parteibuchschraeißen noch schwieriger. Die sagen ja jet2:t, wir gehören zu Euch, und wir wollten es schon immer anders . Dadurch ist die ganze Sache etwas verwonen. Auf der Ebene der staatlichen Lei¬ tung hat sich noch gar nichts geändert, obwohl man viel davon spricht.

Die Versammlung ist ja auch nicht von den KoUegen ein¬ berufen worden, Von der Gewerkschaft vmide ein Aus¬ hang gemacht, auf dem gefragt wurde, woran die Kollegen interessiert seien. Daß der FDGB bleibt, war die Grundvor¬ aussetzung. Das ist schon einmal idiotisch. Es wurde nicht gefragt, ob wilden FDGB weiter behalten wollen. Es wurde stattdessen nur gefragt, auf welcher Ebene etwas verän¬ dert werden soU. Während wir noch diskutiert haben, haben sie schon längst entschieden. Das hat uns natürlich sehr verärgert. 70 % der Arbeiter haben eine klare und andere Vorstellung, wie es laufen soll.

Frage: Wann findet die Versammlung statt, wo diese 70 % miteinander diskutieren?

Antwort: Wer beruft diese Versammlung derm ein? Im Moment gibt es eigentlich die staatlichen Leiter nicht mehr. Das merkt man schon bei der Schichtübergabe. Sie müssen dazu kommen, halten sich aber völlig zurück. Jetzt auf ein¬ mal sagen sie Ihr wißt das doch besser als wir Hätten sie uns das doch vor zwanzig Jahren so entscheiden lasseni

Frage: Wozu sind die staatlichen Leiter denn noch da?

Antwort: Die Planstelle ist eben noch da. Die Revolution ist nicht so weit, daß wir Jetzt sagen: Jetzt besetzen wir die Betrieb sbüios. Der Deutsche ist eben sehr kultiviert und diszipliniert.

Z.B. habe ich vor einigen Jahren unseren Leuten grund¬ sätzlich verboten, irgendeinem staatlichen Leiter irgendet¬ was zu zeigen. Nicht weil ich das Wissen für mich behalten woUte, sondern weil sie uns, die Schichten, immer gegen¬ einander ausgespielt haben. Aber das wollte die staatliche Leitung so. Der Arbeiter durfte nicht alleine entscheiden. Die Entscheidung wurde immer nach oben getragen - vom Meister zum Schichtleiter usw. Bis nach ganz oben, und da wurde dann meistexxa fehl entschieden. Am Schluß vsmrde es nur deshalb mehr oder weniger richtig gemacht, weil die Entscheidung auf dem Weg nach unten korrigiert tvuide. Aber die oben waren immer der Annahme, sie haben richtig entschieden.

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»Ost' West -Diskussionsfoninm Nr. 10

Februar 1990

Polen

Erklärung des Wroclawer Regionalen Arbeiterkomitees

der PPS-RD (Polnische Sozialistische Partei-Demokratische Revolution)

Die Nommierung von Tadeusz Mazowieckl für das Amt des Ministerpräsidenten der Volksrepublik Polen ist Aus¬ druck der sich vertiefenden Krise des Herrschaftssystems der Nomenklatura. Dieses Ergebnis der sozialen Emanzipa* tion hat ihren Ursprung in der Entstehung von »Solidar- noSö« ' einer von der Bürokratie unabhängigen Arbeiterbe* wegung ixn August 1980. Acht Jahre der Versuche des Regimes von General Jaruzelski, die selbstorganisierte Gesellschaft anzugreifen und zu zerschlagen, haben zu ihrem totalen Scheitern geführt.

Die Bildung der Regierung Mazowiecki bedeutet jedoch nicht. daJ! die Gesellschaft die Macht übernommen hat. Die* se Regierung basiert auf „36 % Demokratie“ und auf einer Garantie dafür, daß die Grundlagen des Systems nicht in Frage gestellt werden, trotz der Tatsache, daß die Wähler¬ schaft sich am 4. Juni 1989 eindeutig für die Abschaffung der Nomenklatura ausgesprochen hat. Die wichtigsten Herrschaft s Strukturen - das Amt des Präsidenten der Republik, das Innen- und das Verteidigungsministerium und die Nationalbank - sind nicht nur jedweder Kontrolle durch die Gesellschaft, sondern auch der des Ministerpräsi¬ denten entzogen. Indem sie solche Bedingungen akzeptier¬ ten. haben die führenden Oppositionsgruppen. die vom neuen Ministerpräsidenten repräsentiert werden, aus dem Druck der Streiks und dem Bankrott der PVAP (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei) nicht das Beste herausgeholt. Nichtsdestoweniger eröffnet die Bildung dieser Regierung die Möglichkeit, Bestrebungen der Gesellschaft zu verwirk¬ lichen:

I. Beseitigung aller Überreste des totalitären Regimes

- Abschaffung der Mechanismen der Herrschaft des Staates über die Gesellschaft und in erster Linie die Auflö¬ sung der SB (politische Polizei), der ZOMO (Anti- Aufruhr- Einheiten der Polizei), und der ORMO (Hilfspolizei), sowie eine Revision des Strafrechts mit dem Ziel der Sicherung demokratischer Freiheiten. Dies beinhaltet auch die Abschaffung des privilegierten Status der PVAP und aller mit ihr verbundenen Gruppen wie der SD (Demokratische Partei), der ZSL (Vereinigte Bauernpartei), der ZSMP (Ver¬ einigung der Polnischen Sozialistischen Jugend), der ZSP (Vereinigung Polnischer Studenten) usw. sowie die Garan¬ tie, daß jeder, der leitende Funktionen, in der Verwaltung wie in der Wirtschaft, aus übt, gewählt werden muß; schließlich die Unterordnung der territorialen Verwaltung unter die in heier, gleicher, direkter und Verhältniswahl gewählten Strukturen der Selbstverwaltung.

- Die Garantie der Freiheit politischer und gesellschaftli¬ cher Tätigkeit; d.h. das uneingeschränkte Recht zu streiken und Gewerkschaften zu bilden, auch in der Polizei und in der Armee (einschließlich für Wehrpflichtige); in Überein¬ stimmung mit der 2. der 21 Forderungen des überbetrlebb- chen Streikkomitees von Danzig 1980, Garantie der Sicher¬ heit für die Streikenden uird die Persoiren. die sie unterstüt¬ zen", und in Übereinetmmiung mit der 7. dieser Forderun¬ gen. ..Bezahlung der Streiktage an aüe Streikenden gemäß den Regelungen für bezahlten Urlaub".

Die Aktivitäten politischer Parteien, die die Basis der modernen Demokratie und die Bedingung für die Gesell¬

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schalt, zum Subjekt der Geschichte zu werden, bildet, kön¬ nen nicht durch Gesetze beschränkt werden.

- Die Sicherung völliger Presse- und Informationsfreiheit durch die Abschaffung der Zensur und eine Beendigung der mateheHen und gesetzlichen Garantien für Monopolstel¬ lungen auf diesem Gebiet, und besonders Aufteilung der materiellen Mittel, über die RSW »>Prasa‘Ksiazka-Ruch« ver¬ fügt, auf alle politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Gruppen. Die Unterstellung von Radio und Fernsehen unter die Kontrolle repräsentativer Körperschaften auf den ent¬ sprechenden Ebenen und die Garantie des Zugangs zu ihnen für alle politischen und gesellschaftlichen Gruppen.

II. Unterordnung der Wirtschaft unter die gesellschaftlichen Bedürfnisse

Das Ziel der Wirtschaftspolitik an der Schwelle zum 21. Jahrhunderts muß es sein, annehmbare Lebens Verhältnis¬ se zu sichern, d.h. zumindest das Recht auf gesunde und ausreichende Ernährung. Wohnung, Gesundheitsfürsorge, für jede(n) zugängliche soziale Dienstleistungen (z.B. Kin¬ derkrippen) sowie Ausbildung und Kultur für alle Mitglie¬ der der Gesellschaft.

Eine unerläßliche Voraussetzung zur Verwirklichung die¬ ser Ziele ist die Unterstellung der Wirtschaft unter die Kon¬ trolle der Produzenten. Nur ein solches Modell des gesell¬ schaftlichen Lebens kann jedem Menschen die Möglichkeit garantieren, seine Bestrebuiigen zu verwirklichen, und die Grundlage für die Emanzipation der Gesellschaft bilden.

Bis zum letzten Augenblick hat die Regierung von Miec- zyslaw Rakowski, - indem sie den Weg ihrer Vorgänger beschritt und vollendete Tatsachen schuf die polnische Wirtschaft entschlossen ln die entgegengesetzte Richtung geführt. Sie erweiterte die Möglichkeiten für die private Aneignung seitens der Nomenklatura und für die Entwick¬ lung spekulativ-korrupten Kapitals, und schuf die Voraus¬ setzungen für den Verkauf der nationalen Produktionsmit¬ tel an das ausländische Kapital. Zusätzlich erlaubte sie einen unbegrenzten Anstieg der Preise für Koneumgüter mittels der Einführung marktwirtschaftlicher Mechanis¬ men in einer Situation gravierender Nahningsmitteiknap- pheit. Nachdem sie dies getan hatte, führte sie den Prozeß der Kombination der gesamten bürokratischen Wirtschaft mit Marktmechnismen weiter und verschlechterte so die materielle Lage der Mehrheit der Gesellschaft.

Tadeusz Mazowleckis Regierung muß radikal mit der Politik ihrer Vorgängerin brechen.

III. Plan, Selbstverwaltung und Markt miteinander verbinden

Es ist notwendig zu verstehen, daß das Schicksal der Wirtschaft in erster Linie in den Händen der Arbeiterinnen und Arbeiter selbst liegt. Nur die Selbstorganisation und Initiative der Arbeiterinnen und Arbeiter kann den Wider¬ stand des alten Partei- und Staatsapparats brechen und zu einer Situation führen, in der die neue Regierung wirt¬ schaftliche Veränderungen zum Wohle der Mehrheit durch¬ setzen kann.

In der eisten These des auf dem 1. Landesdelegierten- Kongrefl 1981 verabschiedeten Programms von »SoUdar- nosÖK heißt es;

0 steuropa: Polen

„Wir fordern die Durchführung einer selbstverwaJteten und demokratisch an Reform auf allen Ebenen der Verwal¬ tung, einer neuen gesellschaftJich-wirtschaftüchen Ord* nung, die Plan, Selbstverwaltung und Markt miteinander verbindet

Organisatorische Grundeinheit der Wirtschaft muß das gesellschaftliche Unternehmen sein, über das die Beleg¬ schaft, repräsentiert durch den Arbeiterrat, verfügt und das operativ vom DiieirtoT geleitet wird, der nach einer entspre¬ chenden Ausschreibung durch den Rat berufen und durch ihn auch entlassen wird Die Reform sollte die Planung vergesellschaften.

Die Verwirklichung einer solchen Reform erfordert die Errichtung einer gesellschaftlichen Kontrolle über die Pro¬ duktion, die von den Selhstverwaltungsräten der Arbeiter. Landarbeiter und Handwerker ausgeübt wird, die national und regional in Selbstverwaltungskammem organisiert sind. Die Bedingungen für eine solche Kontrolle sind die fol¬ genden:

- Die Garantie gleicher Ha ndfungsmög lieh ketten für Selbetvenvaltungsräte, Gewerkschaften und andere Arbei¬ tervertretungen unter allen Eigentumsformen, und die Ver¬ einheitlichung des gesetzlichen Rahmens in bezug auf Pro¬ duktion, Arbeitsplätze, Handel, Löhne und Arbeitsbedin¬ gungen.

-Die Veränderung derBezi^ungen der Arbeit im Betrieb

im Sinne der Befreiung der Arbeit, Insbesondere durch die radikale Einschränkung der Anzahl der Aufseher und des Verwaltungspersonals und durch die Garantie, daß diese gewählt werden.

- Offenlegung der Bücher. Die Arbeiterkontrolle über Produktionsmittel und -ziele bildet eine unerläßliche Etap¬ pe auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die die vollständige Verantwortung für die Wirtschaftsverwaltung übernimmt. Die Bestandsaufnahme über die Produktion und die Verbin¬ dungen ihrer Zusammenarbeit durch die Selbstverwal¬ tungsräte und -kammern (Berichte über den Zustand der Betriebe und der gesamten Wirtschaft) würde eine nationa¬ le demokratische Diskussion über die Prinzipien einer zen¬ tralisierten Zuteilung des ökonomischen Überschusses in einer Weise erlauben, daß die Befriedigung der von der Gesellschaft zum Ausdruck gebrachten Bedürfnisse in zanehmendem Maße garantiert wird. Auch wenn auf die Anwendung von Marktmechanismen in der Verteilung nicht verzichtet werden kann - in dem Maße, wie die wirt¬ schaftliche Entwicklung die völlige Befriedigung der Bedür- russe nach verschiedenen Produkten nicht sicherst eilen kann , muß di© Anwendung von Marktmechanismen unter Bedingungen ernster Knappheit den Entscheidungen einer Gesellschaft unterworfen sein, die sich ihrer Bedürfnisse bewußt ist.

IV. Selbstverteidigung der Arbeiterinnen und Arbeiterangesichts der Auswirkungen der Krise

Die Schwere der Wirtschaftskrise erfordert, daß die AibeiterkoUektive sofortige Aktionen zur Selbstverteidi¬ gung durchführen.

* Arbeiterkontrolle über die Preise

Die regionalen Strukturen von »Solidainosc« müssen ins¬ besondere in Zusammenarbeit mit den gewerkschaftlichen Kommissionen im Handels- und Dienstleistungssektor sicher Stehen, daß die Steigerung der Lebenshaltungsko¬ sten jede Woche berechnet und veröffentlicht wird. Es muß gefordert werden, daß auf dieser Grundlage ein wöchentll- chei Prämienausgleich für die Lebe ns Verteuerung gezahlt wird. Die Regierung muß Maßnahmen ergreifen, die die Preiserhöhungen stoppen,

- Gesellschaftliche Kontrolle über die Nahrungsmittel¬ ve rteilung

Entsprechend These 7 des 1981 verabschiedeten uSoli- damosö<( -Programms müssen ün Falle ernster Nahrungs- mitteUmappheit die Basiastrukturen von nSoIidarnosc« die

Initiative zur Schaffung von Arbeiterkommissionen für den Markt und für die Lebensmittelversorgung mit einer Ko- ordinatio ns zentrale ergreifen. Diese Kommissionen sollen mit den Gliederungen der Individualbauem Zusammen¬ arbeiten.

Tadeusz Mazowieckis Regierung sollte solchen Kommis¬ sionen das Recht einräumen, alle Läden, die Konsumgüter verkaufen, zu kontrollieren, einschließlich derjenigen, die unter der Kontrolle des Innen- und Verteidigungsmirüste- riums stehen.

- Neubewertung der Arbeit

Frühere Regierungen haben den Prozeß der Anbindung der Preise des inneren Marktes an das Weltmarktniveau eingeleitet. Der Anteil der Arbeitskraft an den gesamten Produktionskosten ist drastisch reduziert worden. Tadeusz Mazowieckis Regierung muß, in Übereinstimmung mit »Solidamoäö<i, eine radikale Lohnreform durchführen und vor allem den Anteil der Löhne an den Gesamtkosten auf das durchschnittliche Weltniveau anheben.

- Sicherung des Rechts auf Arbeit

These 9 des 1981 veiabschiedeten »Solidarnosö« -Pro¬ gramms stallt© fest: „Wir erklären uns für das allgemeine Recht auf Arbeit und gegen Arbeitslosigkeit... In Betrieben, in denen Einschränkungen vorgesehen sind, soll die Betriebskommission diese Veränderungen innerhalb der Betriebe untersuchen, damit die betroffenen Arbeiter die Möglichkeit haben, einen anderen Arbeitsplatz zu suchen oder eine Arbeit mit verkürzter Arbeitezeit ohne Lohn Verlu¬ ste anzu nehmen. Wie die Gewerkschaften in Westeuropa fordern wir eine 35-Stunden-Woche, ''

- Kündigung der Schulden

Der neue Ministerpräsident stellte in seiner Rede vordem Parlament richtig fest; „Die Wirtschaft ist von den Aus¬ landsschulden erdrosselt worden. Seit 1971 wurden 49 Milliarden Dollar Anleihen aufgenommen, 44 Milliarden Dollar wurden zurückgezahlt, doch es bleibt auch so eine Verschuldung von 39 Milliarden Dollar übrig.

Die Gesellschaft kann die Verantwortung für von der Nomenklatura gemachte Schulden und die durch ihre Herr¬ schaft verursachte Verschwendung nicht übernehmen.

- Die Wiedergewinnung wirtschaftlicher und politischer Souveränität

1. ) Die Ablehnung der Bedingungen des IWF, deren Durchsetzung gewiß zu einer drastischen Reduzierung des Lebensstandards und der Unterordnung der polnischen Wirtschaftspolitik unter das ausländische Kapital führen würde,

2. ) Di© Revision der militärischen und wirtschaftlichen Verträge/Abkommen, die für Polen aufgrund seiner Mit¬ gliedschaft im Warschauer Pakt und im RGW gelten.

V. Die selbstverwaltete Republik

In Übereinstimmung mit dem 1981 verabschiedeten Pro¬ gramm von » Solidainosc << wollen wir „eine wirkliche Verge¬ sellschaftung des VerwaJtungs- und Wirtschaftssystems. Deshalb streben wir ein selbst verwaltetes Polen an."

- Freie Wahlen für eine Konstituierende Versammlung

Das Grundgesetz muß Ausdruck der bewußten und

freien Entscheidung durch die Gesellschaft sein. Die neue Regierung muß eine freie, gleiche, direkte, geheim© und Verhältniswahl für die Konstituierende Versammlung orga¬ nisieren und insbesondere garantieren, daß alle Kandida¬ ten dieselben materiellen Bedingungen für ihren Wahl¬ kampf genießen.

- Die Frage der Macht

Der Weg zu einer selbstverwalteten Republik beinhaltet die völlige Abschaffung der Macht der Nomenklatura. Diese Aufgabe kann nur durch die selbstorganisierte Arbeiterbe¬ wegung erfüllt weiden, bestärkt durch ihre Erfahrungen unter dem Kriegsrecht und in den Untergrundaktivitäten, ün Kampf um die betriebliche, regionale und staatliche Macht.

Wroclaw, 13. 9. 1989

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»Ost-Wesl-Diskussionsforum« Nr. 10

Februar 1990

Rumänien

Der Sturz der Ceausescu-Clique - Die Revolution der Räte

Oer Sturz der Ceausescu-Diktatur durch die rumänische Revolution bildete das Ende eines Jahres, das in die Geschichte als ein Jahr der Revolutionen eingehen wird. Zum besseren Verständnis folgt hier zunächst ein historischer Abriß, und dann wollen wir einige erste Dokumente dieser Revolution wiedergeben.

1944-1989: Eine Epoche europäischer Geschichte

1944, als PaTtisa'nengruppen' und Betriebskonütees Rumänien überzo- gen, näherte sich die KP RumänieTis den Liberalen um TatarescUt den Ver¬ tretern der Armee und der Monarchie, um sich in einer geheimen Sitzung vom 13./14. Juni 1944 auf die Macht¬ übernahme von König Michael 1. zu einigen. Am 20. August drang die Rote Armee in das Land ein. Am 23.6. brach der Aufstand los; die mit den Nazis verbündete Regierung wurde verhaf¬ tet, Michael I. zum König proklamiert.

Gegen die Revolution...

Bewaffnete Gruppen von Arbeitern und die reguläre Armee übernahmen den größten Teil des Landes. Die Truppen der Sowjet-Armee zogen am 31. August in das befreite Bukarest ein. Die KP schlug die Bildung einer Nationalen Demokratischen Front vor. Daraus wurde nach Intervention der USA und Gioßbritanniens der Block Demokratischer Parteien.

Nach großen Demonstrationen, die in zahlreichen Städten gewaltsam un¬ terdrückt wurden, wurde die erste Agrarreform erzwungen sowie Ge¬ setze über Löhne und Preise. Im Au¬ gust 1945 weigerte sich König Michael I., die Entscheidungen der neuen Re¬ gierung ZU verkünden.

Der Block der Demokratischen Par¬ teien erhielt bei den Parlamentswah- len 79,86 % der Stimmen- Am 30- De¬ zember 1947 wurde die Volksrepublik Rumänien ausgerufen.

...Etablierung des

stalinistischen

Staatsapparates

Im Februar 1948 fand - nach be¬ kanntem Muster ein „Vereini- gungs“ -Parteitag der KP und der so¬ zialdemokratischen Partei statt. Die wichtigsten Betriebe wurden am 11. Jum 1948 verstaatlicht. Am 30. Au¬ gust wurde die »Securitate« geschaf¬ fen, am 23. Januar 1949 die »VoUtsmi- liz«.

Ein Programm der Zwangskollekti¬ vierung führte dazu, daß 1960 32 % der Äcker zum „sozialistischen Sek¬

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tor'* gehörten. Von 1952 bis 1956 über¬ zog eine Repressions- und Säube¬ rungswelle das Land.

Die ungarische Revolution von 1956 fand in den Demonstrationen von Bu¬ karest. Jassy. Cluj (Klausenburg) und Temesvar ihr Echo.

„Öffnung^* zum Westen...

Am 22. März 1965 wurde Georghiu- Dej an der Spitze der Partei durch Ce- ausescu abgelöst.

ln der Außenpolitik verschaffte ei sich einen bestimmten Spielraum ggenüber dem Kreml. Er unterhielt gute Beziehungen zu Mao Ts etung, empfing General De Gaulle (während des französischen Generalstreiks 1968 I). Nixon und Golda Meir.

Rumänien ist das einzige Land Ost¬ europas, das nach dem „Sechs-Tage- Krieg“ die diplomatischen Beziehun¬ gen zu Israel aufrechterhält und... die Intervention der Warschauer-Pakt- Staaten in die CSSR 1968 verurteilt.

1971 trat Rumänien dem GATT (Welthandels- und Zollabkommen) bei, 1972 dem Internationalen Wäh¬ rungsfonds (IWF). In der Zwischenzeit wurde die Bildung „gemischter Ge¬ sellschaften“ erlaubt, d.h. dem Kapital

der Zugang zum rumänischen Markt geebnet.

1974 schlossen die neun Staaten der EWG mit Rumänien ein Abkommen über bevorzugte Handelsbeziehun¬ gen ab (niedrigere Zölle I), und die USA gaben Rumänien den Status des bevorzugtesten Handelspartners.

...und Repression gegen die Arbeiter

1977 zwangen die 36 000 streiken¬ den Bergarbeiter des Schil-Tals Ce- ausescu, persönlich zu Verhandlun¬ gen zu erscheinen. Danach tvurden die Streikenden mit Unterdrückungs¬ maßnahmen verfolgt, wie auch 1979 die Mitglieder der unabhängigen Ge¬ werkschaft SLOMR.

1982 begann Ceausescu eine Politik der beschleunigten Rückzahlung der Auslandsschulden und ließ gleich¬ zeitig mit Sparmaßnahmen ein Ge¬ setz verabschieden, das die Löhne an die Produktivität koppelte und den staatlich garantierten Mindestlohn aufhob (1983). In den Folgemonaten kam es zu Streiks. 1983 wurde mit der Anwendung des Gesetzes über die ,. Umstrukturierung“ des ländlichen Raumes, d.h. dem Programm der Dorf-

Diktator Ceausescu mit seiner „blutigen Helena“ In Pelzmänteln. - Am Tag seines Sturzes durch das Volk hatte Ceausescu 2 Mitgliedskarten in seiner Tasche: eine von der KP Rumänien, die andere vom IWF, dessen bester Schüler er war.

Osteuropa: Humänien

Zerstörung, der langanhaitende Wi¬ derstand der Landbevölkerung und der nationalen Minderheiten hervor- gerufen.

1987: Streiks in Brasov (Kronstadt)

Im Oktober 1967 kam es zu ersten Streiks in Brasov. Am 15. November

demonstrierten 20 000 Arbeiter einer Fabrik „für Brot un(J Freiheit, gegen Ceausescu"'. Das Regime antwortete mit Unterdrückung. Die Antwort dar¬ auf war ein Aufstand. Es gab Tote, Verletzte und mindestens 400 Verhaf¬ tungen.

In Cluj und Temesvar fanden De¬ monstrationen statt ; in Craiova wurde

Berichte und Dokumente aus Rumänien

Kommunique des Rates des Komi¬ tees der nationalen Rettung des Be¬ zirks Arad und aller seiner Betriebe und Institutionen, 27. Dezember 1969:

Wii fordern; dsJi in allen Betrieben und Institutionen Belegschaftsvoü- versammJungeo für jede Produktions- einheit und Abteilung durchgefuhrt werden und dort öffentlich die lokalen Komitees der nationalen Rettung ge¬ wählt werden.

Da/7 diese Komitees der Abteilun¬ gen und Produktionseinheiten 3-5 Per¬ sonen umfassen, deren Kompetenz und moralische Unbestechlichkeit be¬ kannt ist. In ihnen können Mitglieder der Kommunistischen Pertei vertreten sein, unter der Bedingung, daß sie keine politische Leitungsfunktion aus¬ geübt haben.

Daß die derart gegründeten Komi¬ tees üi öffentlicher Abstimmung die Abteilungsleiter und Leiter der Pro¬ duktion wälilen. '

DaJ3 in jedem Betrieb, in jeder Insti¬ tution, die gewählten Komitees zu ei¬ ner Vollversammlung zu sammer2 tre¬ ten, um das Exekutivkomitee des Be¬ triebs oder der Produktionseinheit zu wählen. Das Exekutivkomitee soll fol- gendemaßen z u sammengesetzt sein: ein Vorsitzender, zwei Stellver¬ treter und weitere Mitglieder. Diese Exekutivkomitees sind dem Mandat ihrer Wähler und dem Gesetz ver¬ pflichtet und verantwortlich für alles, was ihre Organisation und ihre Hand¬ lungen betriift.

Authentische Berichte aus den Be¬ trieben:

Unser Betriebskomitee hat sich auf den Barrikaden in der Nacht des 20. Dezember gegründet. Jede Fabrik war an ihrem Platz. Dann sind wir in den Betrieb zurückgekehrt. Wir haben uns den Arbeitern vorgestellt und gesagt: >Hjer ist euer Komitee. Hier die Liste der provisorischen Mitglieder. Seid ihr einverstanden oder nicht? r Wir sind mit der Liste in alle Abteilungen ge¬ gangen. Einige sind gew^t worden, andere nicht. Es gab Änderungen. Jetzt gibt es Delegierte aus jedem Be¬ reich des Betriebs im Verhältnis 1-3 Delegierte je nach Belegschafts¬ stärke. Die alte Werksdirektion hat sich kampflos der Kontrolle unseres Komitees unterstellt.

Wir haben die Spezialisten dabehal¬ ten. Das Komitee kontroiiiert die Di¬ rektion, die nichts ohne uns entschei¬ den kann. Es gibt eine Verständigung zwischen der Direktion und dem Ko¬ mitee. Das Komitee hat auch die Hilfe für die Opfer der Kampfe und für die Kinder übernommen. Wir helfen bei der Kontrolle der Errichtung eines freien Rumäniens. "

Ein anderer Betrieb:

„Die offizielle Gewerkschaft ver¬ schwand. sobald unser Betriebskomi¬ tee gegründet war. Sie stand nicht auf Seiten der Arbeiter. Heute uinfa/7t un¬ ser Komitee 32 Mitglieder. Aus Buka¬ rest erreichte uns eine Neuigkeit, dai7

„Macht es wie in BrasovI an die Mau¬ ern gemalt. Flugblätter wurden in 94 Städten verteilt, Streiks brachen in mehreren Industriezentren aus. es kam zu „Zwischenfällen** in Bukarest.

Der Stein war ins Rollen gekom¬ men... das Ergebnis war der 16. De¬ zember 1989 in Temesvar.

sich eine freie Gewerkschaft gebildet habe. Daraufhin haben wir uns ge¬ sagt, daB wir uns darum kümmern müssen und eine freie Gewerkschaft brauchen, denn in den Betrieben wird nichts mehr wie vorher sein. Wir brau¬ chen Gewerkschaften. "

In der Zeitung von Temesvar konnte man Im Dezember lesen;

„Gestern haben wir eine Versamm¬ lung der Betriebsd elegierten der Stadt (fast 150 waren anwesend! durchge¬ führt. Ungefähr 20 GroiTbetriebe und 50 weitere von Temesvar waren ver¬ treten. Im Laufe dieser Versammlung haben wir die Zusammensetzung des Komitees verändert. Das Komitee zählt 37 Mitglieder, mit Vertretern al¬ ler Gesellschaftsschichten. Also 3 für die Industrie, 4 für die Landwinschafr, andere für Jugend. Kulturschaffende. Zwei Plätze waren für die KP Vorbehal¬ ten, aber niemand wollte sie einneh¬ men, also wurden sie anders verge¬ ben.

Dia gesamte alte Verwaltung der Stadt ist völlig aufgelöst. Es gab ein oder zwei KomiteemitgLeder von der alten Verwaltung, sie wurden gestern abgelöst, Weil Delegierte sagten : >Wa8 machen die hier? Sie gehörten zum alten Regime... < Sie wurden des¬ halb nicht iviederg© wählt.

Von einem Stedtkomitee kommt folgender Beitrag:

„Im Stadtkomitee waren bei je zwei Delegierten pro Betrieb 120-150 Per¬ sonen bei der gestrigen VoiJversamm- iung anwesend. Alle Berufsgruppen waren vertreten; Arzte, Professoren, Kulturschaffende, politische Gefan¬ gene, Jugendliche. Soldaten, Studen¬ ten...

Wenn ein Betrieb nicht im Stadtko- mitee vertreten wäre, wie sollte er die Wünsche der Arbeiter zu Gehör brin¬ gen?

Selbst die Betriebskomitees, die nicht in das Stadtkomitee gewählt worden sind, haben das Hecht auf Teilnahme an seinen Tagungen.

Das Exekutivkomitee der Kommu¬ nal Verwaltung ist provisorisch. Wir sind nicht vezpriichtet, Beschlüsse dieses Stadtkomitees durchzuführen, wenn sie nicht gut sind. Mit den An¬ weisungen von oben, dem Konunaii- dieren, ist es vorbei.

(Foto linke:) Überall bewaffnete Kon¬ trollpunkte der revolutionären Arbei¬ ter, Bauern und Jugend.

»Ost -West-Diskussionsforum« Nr. 10

Februar 1990

Appell des Streikkomitees der Stadt Workuta an die Arbeiter der Sowjetunion

UdSSR

Am 2. November brach erneut ein Bergarbeiterstreik in Workuta (Nord Sibirien) in 12 von 13 Zechen aus, d.h. mit der überwäitrgenden Mehrheit der 34 000 Bergarbeiter der Stadt. Diese Bewegung kennzeichnet offenkundig in mehrerer Hinsicht eine neue, entscheidende Etappe in der politischen Situation, und darüber sind eich die Bergarbeiter von Workuta völlig Im klaren, ihr Streik verfolgt vier Ziele:

* die tatsächliche Erfüllung der im Juli auf gestellten Forderungen, die von der Regierung Im wesentlichen auch akzeptiert worden waren, ohne daß sie jedoch bisher ihre Versprechen ein gehalten hat:

- Verurteilung und Ablehnung des Gesetzes über die „Lösung von Arbeitskonflikten**, d.h. des Antistreikgesetzes (abgedruckt in der»RPrdwda«vom 16. Oktober): abgesehen von verschiedenen Einschränkungen verbietet der Text schlicht und einfach den Streik in verschiedenen Industriezweigen, darunter die Zechen und das Transportwesen;

-Anerkennung des Existenzrechts unabhängiger Gewerkschaften; die 1 300 Kumpel einer der 1 3 Zechen Workutas haben einstimmig (bei 1 Enthaltung) beschlossen, aus der offiziellen Gewerkschaft auszu treten, die Komplizin der Verwaltung und des Apparates ist;

Zu dieser Entscheidung erklärte Terjoschin, Sprecher des Streik* Komitees in Workuta: »Das ist ein historisches Ereignis. Für die so¬ wjetischen Arbeiter bedeutet es nicht weniger ai$ der Fall der Ber* finer Mauer."

- Forderung nach Streichung des Artikels 6 der Verfassung der UdSSR, der die Führungsrolle der Stal inisti sehen Einheitspartei proklamiert, und Abschaffung des vom Apparat sich sei bst verschafften Privilegs, dieführenden Politiker seiner Wahl in den Kongreß der Volksdeputierten zu entsenden.

Entsprechend diesen vier Forderungen verlangen sie die Absetzung des Zechendirektors, dem die absolute Mehrheit der Kumpel in einer Abstimmung ihr absolutes Mißtrauen ausgesprochen hat, der aber weiter das Vertrauen des Apparates der Bürokratie, dessen Mitglied er Ist, genießt.

Die Regierung ließ den Streik durch die lokalen Behörden für illegal erklären und kündigte an, sie werde 32

die Streikenden bestrafen. Sie startete eine nationale Verleumdungskampagne, wobei sie ihnen erfundene Forderungen unterschob wie etwa „kostenlose Mahlzeiten", und verschwieg dafür die wirklichen Forderungen.

Die Regierung versucht mit allen Mitteln die streikenden Bergarbeiter zu isofteren, doch schließlich mußte Ministerpräsident Ryschkowelne Delegation des Streikkomitees und von den Bergarbeitern der anderen Regionen empfangen. Die fast zweistündige Diskussion endete mit

I. ' Die Statutea dei Arbeiterkomitees

als permanente Organe der sozialen Verteidigung der Arbeiterinteiessen müssen ratifiziert weiden, einschließ* lieh ihres Rechts, ihre eigenen Druck- Schriften zu produzieren. Sofortige In¬ angriffnahme einer radikalen Reform der Struktur der existierenden Ge- Werks chaften von oben bis unten. Ra¬ tifizierung des Rechts aller Kategorien der Arbeiter, sich in unabhängigen Gewerkschaften ihrer Wahl zusam¬ menzuschließen. ,

II. - Zur Unterstützung der wichtigen Rolle, den der Rügel in der KPdSU spielt, der füx die Umgestaltung inner¬ halb des Prozesses der wirtschaftli¬ chen und politischen Demokratisie¬ rung einsteht, fordern wir, daß die fol¬ genden Fragen auf die Tagesordnung der Sitzung des Obersten Sowjets ge¬ setzt werden:

1. ) Streichung des Artikels 6 der Verfassung der UdSSR (1). Anerken¬ nung des Rechts aller Bürger, sich in Vereinigungen, Gruppen und politi¬ schen Parteien auf einer gewaltfreien Aktionsplattform zusammenzuschlie¬ ßen. Die KPdSU muß durch ihre Säube¬ rung von ihren stalino-bürokratischen Elementen in der Realität beweisen, daß eie ein Recht auf Führung des Lan¬ des hat. indem sie dem Willen des Vol¬ kes freien Ausdruck verschafft.

2. ) Direktwahl des Vorsitzenden des Obersten Sowjets der UdSSR, sowie der Vorsitzenden der Obersten So¬ wjets der Umons- und Autonomen Re¬ publiken, der Vorsitzenden der So¬ wjets der Städte, Regionen. Territo¬ rien, Dörfer usw. Streichung der Er¬ nennung von Volksdeputierten durch die sozialen Organisationen (2). (...)

neuen Drohungen und Veraprechungen.

„Ihr müBt aufpassen, rticM ein Instrument in den Händen po/ltischer Extremisten zu werden. Das war der wesentliche Inhalt der Botschaft Ryschkows. Erwies Immer eindringlicher auf die schwierige Wirischaftslagehin. Doch wer Ist dafür verantwortlich? Sicherlich nicht die Bergarbeiter.

Am 3 November verfaßten die Bergarbeiter von Workuta einen Aufruf an alle Arbeiter der UdSSR:

Verbot der Ämterhäufung als Gene¬ ralsekretär der KPdSU und Vorsitzen¬ der des Obersten Sowjets (3).

3.) Im Pressegesetz muß jedem Bür¬ ger der UdSSR das Recht auf freie Mei¬ nungsäußerung und Veröffentlich¬ ung sfreiheit nach eigener Wahl im Rehmen des Gesetzes garantiert wer¬ den.

IIL- Wir sind der Meinung, daß das verabschiedete Gesetz über den Aus¬ nahmezustand und das Gesetz über die Lösung von Arbeitskonflilrten in ihrem jetzigen Wortlaut darauf abzie¬ len, die Arbeiter ihres Rechts zu be¬ rauben. auf das letzte Mittel zur Ver¬ teidigung ihrer Interessen zu ruckzu¬ greifen: den Streik, und die Arbeiter¬ bewegung vom Demokratisierungs¬ prozeß fernzuhalten und ihn damit in der Praxis zu liguidieren.

IV-- (...) Garantie einer wirklichen In¬ formation über die Arbeite- und Le- bensbedlngungen der Bergarbeiter und über unsere politischen und Öko¬ nomischen Forderungen.

V. - Die Arbeiterbewegung bekräf¬ tigt, daß die politische und ökonomi¬ sche Freiheit ein natürliches Men¬ schenrecht ist, das jeder Mensch von Geburt an hat, und die gesetzlichen Regelungen, die wir in den vorigen Punkten gefordert haben, sind nichts als die Verwirklichung dieses Rechts.

VI. - Wir wenden uns an die Bevölke¬ rung der Sowjetunion, an alle Arbei¬ ter, an alle demokratischen Kräfte, und rufen sie auf, diese Forderungen zu unterstützen, zu vervollständigen und weiterzuentwickeln in Versamm¬ lungen und Kundgebungen.

^^Die Praxis der ökonomischen Streiks hat gezeigt: Wenn nicht ent* scheidend das herrschende totalitäre System der Bürokratie zerschla¬ gen wird, hat die Aufstellung von ökonomischen Forderungen keinen Sinn. Deshalb erklären dre Bergarbeiter, daß sie sich im Zustand der Vor¬ bereitung auf den politischen Streik befinden, und stellen die folgenden Forderungen auf:

Sowjetunion

Kollegen,

die Bergarbeiter von Woikuta am Polaxkreie wenden sich an Euch mit der Bitte, unsere politischen Forde¬ rungen 2u unterstützen. In Workuta (Polarkreis), wo Zehntausende von Häftlingen an Frost und Hunger ge¬ storben sind, mit Flüchen auf Stalin und das von ihm hervorgebr achte Re¬ gime auf den Lippen, ist eine Arbeiter¬ bewegung entstanden mit dem Ziel, dieses System des administrativen Kommandieren s zu zerstören. Diese Männer sind also nicht umsonst in den stalinistischen Lagern umgekommenl Und auch, damit sich diese Vergan¬ genheit nicht wiederholt, bildet der

Zusammenhalt der Arbeiter und die Einheit für ihre Forderungen unsere einzige Waffe gegen die Bürokraten, die Funktionäre und das gesamte ad¬ ministrative System, das über unseren Köpfen schwebt und bereit ist, auf uns emzu schlagen, um weiter leben und kommandieren zu können wie bisher. Durch Versammlungen, Kundgebun¬ gen, Telegramme an den Obersten So¬ wjet, an Gorbatschow und Ryschkow mit der Forderung, daß die Forderun¬ gen der Bergarbeiter des Polarkreises erfüllt werden, könnt Dir Eure wirk¬ same Unterstützung zum Ausdruck bringen und die Stärke und den Zu¬ sammenhalt der Arbeiter der Sowjet¬

union demonstrieren, die es nicht zu- lassen werden, daß der Streik von den Bürokraten zerredet und zum Spielball gemacht wird!

Das Streikkomitee der Stadt Workuta,

3. November 1 989

( 1} Der Artikel 6 definiert die FührungsioUe der Kommunistischen Panei der Sowjet¬ union, KPdSU-

(2 ) Die KPdSU hat sich bei de n let zte n Wah¬ len zum Kongreß der Volksdeputierten eine Ipestimmte Zahl von Sitzen reserviert, die sie mit ihren eigenen Leuten belegte.

(3) M. Gorbatschow übt beide Ämter aus.

Resolution der Beratung der Vertreter der nationalen demokratischen Bewegungen der UdSSR

Die Entwicklung der politischen Si¬ tuation der UdSSR in den vergange¬ nen Jahren hat gezeigt, daß der uni- täie Sowjetstaat sich im Zustand einer Dauerkrise am Rand der Katastrophe befindet. Um so stärker bemüht sich die Staatsmacht auch weiterhin, durch Zwang und Betrug die verrotte¬ ten Fundamente des letzten kolonia¬ len Imperiums zu retten und grundle¬ gende demokratische Lösungen zu vermelden. Für diesen Zustand ist konkret verantwortlich die durch ZK und Politbüro geleitete KPdSU, aber auch ihre Organisationen in der Pro¬ vinz.

Die Beratung der Vertreter analy¬ sierte die gegenwärtige politische Si¬ tuation und resümierte :

1. Die Beratung konstatiert mit gro¬ ßem Zorn, daß der staatliche Terror in Grusiaren am 9. April dieses Jahres ein Genozid ist. eine Verletzung der Menschenrechte und des Rechts der nationalen Souveränität, ein Barba¬ rentum am Ende des 20. Jahrhunderts von einer Obrigkeit, die behauptet, auf dem Weg der Schaffung eines ge¬ rechten. ja sogar humanistischen Staates zu sein. Gewalt gegen wehr¬ lose Frauen und Kinder konnte nicht ohne direkte Anordnung aus Moskau angewandt werden. Wir fordern» un^ verzüglich die Namen der für diese Er¬ eignisse verantwortlichen Menschen zu veröffentlichen und diese Men¬ schen offen zu verurteilen.

2, Die Beratung unterstützt den Kampf des bjeloruss (sehen Volkes für die Wiedergeburt seiner National- spräche und -kultur und für die Rechte seines Volkes auf einen Volksent¬ scheid. Wir sind sehr beunruhigt dar¬ über, daß die Staatsmacht der BSSR mit Gewalt versucht, die Bewegung der nationalen Wiedergeburt zurück¬ zudrängen und sogar ähnliche Eigen¬ mächtigkeiten rechtfertigt. Wir verur¬ teilen entschieden das Gesetz des Präsidiums des Obersten Sowjet der

Bjelorussischen SSR vom 30. März 1989, das eine Bestrafung für die Ver¬ breitung unabhängiger Informationen und die offene Verwendung einer na¬ tionalen Symbolik versieht. Wir soli¬ darisieren uns mit dem Kampf der bje¬ lorussischen Vereinigten Konfödera¬ tion und der Volksfront Bjelorußland »Adrasidenne« (Wiedergeburt) und ermahnen dazu, vom 5. bis 9. Mai Mee¬ tings und Demonstrationen zur Unter¬ stützung dieses Kampfes abzuhaiten.

3. Die Beratung bekräftigt ihren Be¬ schluß, die berechtigten Forderungen der Krimtatacen nach einer Rückkehr in ihre historische Heimat und die Wiedererrichtung der autonomen Krim -SSR zu unterstützen. Die Bera¬ tung hat ihre Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß die Obrigkeit der UdSSR bis auf den heutigen Tag nicht von der Genozidpolitik gegen die Krimtataren Abstand genommen hat und immer noch auf der Ebene der örtlichen Ver¬ waltungen verschiedenste Hinder- msse schafft, um Tataren an der Rück¬ kehr in ihre Heimat zu hindern. Die Be¬ ratung wendet sich an den Kongreß der Volksdeputierten und verlangt, daß alle staatlichen Exekutivorgane jegliche Beschränkungen aufheben, die die Kiimtataren an der Rückkehr in ihre Heimat hindern, und ein Gesetz zu erlassen zur Wiedererrichtung der Krim- ASSR, und das Volk mit allen dar¬ aus folgenden Konsequenzen zu reh¬ abilitieren

4. Der unitäre Staat hat nicht sein Wesen verändert, sondern agiert auf die alten autoritären Weisen, deren Ziel die Einschüchterung der Völker in ihrem Kampf für die Selbstbestim¬ mung und nationale Unabhängigkeit ist, sowie das Säen zwischennationa¬ ler Zwietracht nach dem Prinzip „teile und herrsche". Wir verlangen von der Führung der UdSSR reale Garantien für eine freie Tätigkeit für die Realisie¬ rung der Rechte der Völker.

5. Die Beratung äußert einen ent¬

schiedenen Protest gegen den Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 8. April 1989 und be¬ trachtet diesen Erlaß als den drakoni¬ schen Versuch, die Herrschaft des Paneiapparates zu retten und als eine Weise der Unterdrückung der Gedan¬ ken-, Rede- und Pressefreiheit. Wir fordern, daß die Regierungen der Re¬ publiken diesen Erlaß nicht anerken- nen.

6. Es ist eine Situation entstanden, daß die Regierung der UdSSR, obwohl sie noch nicht einmal alle früheren po¬ litischen Gefangenen freigelaseenhat schon gar nicht zu reden von ihrer Rehabilitierung - schon wieder be¬ gonnen hat, Vertreter der neuen un¬ abhängigen Bewegungen Repressio¬ nen zu unterwerfen, darunter Mitglie¬ der des Karab ach- Komitees, des Krunk- Komitees, Patrioten Grusi- lüens, Aserbaidschans und anderer Länder. Wir fordern die unverzügliche Freilassung der Inhaftierten und die völlige Wiederherstellung ihrer Bür¬ gerrechte.

7. Die Beratung unterstützt die For¬ derung der Völker {Letten, Litauer, Esten, Westukrainer. Westbjelorus- sen. Moldauer u.a.). die Opfer des ver* brecherischen Vertrags des Jahres 1939 zwischen zwei imperialistischen Staaten, des sogenannten Molotow* Rihentrop ‘Paktes wurden, diesen Ver¬ trag für nichtig zu erklären. Die Bera¬ tung fordert von der Regierung der UdSSR, letzteren Vertrag als ungültig zu erklären mit allen aus diesem Akt entstehenden Folgen: Den Abzug so¬ wjetischer Militäreinheiten aus dem 1939-1949 okkupierten Territorium und die Wiederherstellung der unab¬ hängigen Staaten Lettland, Litauen und Estland.

8. Gemäß der Genfer Konvention von 1949 ist die Einberufung von Bür¬ gern eines okkupierten Landes in die Okkupatio ns Streitkräfte verboten. Die Beratung protestiert gegen den MiJi-

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Ost -West “DiskussionsforumK Nr. 10

Februar 1990

tärdienst vön Bürgern unterdrückter Völker in den Streitkräften des Impe¬ riums.

9. Die Beratung ist zu dem Schluß gekommen, daß die Lage der UdSSR sich jetzt sehr verschärft hat. Solch eine Destabilisierung gefällt keiner Gruppe von Einwohnern und beson¬ ders keiner von all den verechiedenen demokratischen Bewegungen der vie¬ len Völker. Schließlich gefällt solch ein Zustand auch nicht dem imperialisti¬ schen Staat selbst. Deshalb unterstüt¬ zen wir neue Formen von Bürgerbe* wegungen, z.B. die Tätigkeit der un¬ abhängigen Organisationen Estlands und Lettlands, die sich bemühen, wirklich demokratische Kongresse (Versammlungen) von Volksvertre¬ tern zu schaffen. Solche Vertretungen des Volkswillens können nämlich auf friedbche, aber radikale Welse die Pro¬ bleme zwischen Staat und Volk grund¬ legend lösen und den Weg frei ma¬ chen für Verhandlungen für neue freie Beziehungen, deren Ergebnis für beide Seiten nützlich sein wird. Das ebnet den Weg zu einer Selbstbestim¬ mung aller Volker und zu unabhängi¬ gen Nationalstaaten. Die Beratung ist sich sicher, daß, wenn die Regierung der UdS SR aus dem vorg elegt en Mate¬ rial keine Schlußfolgerung zieht, sich

die kritische Situation weiter ver¬ schärfen und es neue Anlässe öffentli¬ cher Unzufriedenheit der verschiede¬ nen Völker geben wird. Solchen Ge- schichtsabläufen kann sich auch die Staatsmacht des Imperiums nicht mehr widersetzen. Die Bewahrung des gegenwärtigen Zustandes löst nicht die Lebensprobleme der Völker.

Estland, Loodi 30. April-1. Mai 1989

Ein Ausweg kann nur die Verwirkli¬ chung der politischen Rechte, die An¬ erkennung einer gleichberechtigten Partnerschaft aller demokratischen Bewegungen, ein Mehrparteiensy¬ stem und der freie Ausdruck des Rech¬ tes der Völker auf Selbstbestimmung sein.

Namens der nationalen demokratischen Bewegungen Unterzeichneten: Volksfront Aserbaidschans Zardust Alrzada

Nationale Selbstbestünmungsveremigung Armeniens —Vaidan Arutjunjan Ilja Cacavadze-Ge Seilschaft - Tamai Ccheidze Vereinigte Konföderation Bjelorußlands - Sjarzuk Njachames Nationale Unabhängigkeit sparte! Grusiniens Georgrj Drzincaiadze Gesellschaft des hl. Dja des Gerechten - Vaza Adamija Nationaldemokratische Partei Grusiniens - Georgij Achalaja Nationale Gerechtlgkeitsunion Grusiniens - Irakeg Melasvüi Volksbewegung der Krimtataren - Abduresit Dzepparov Nationale Unabhängigkeitsbewegung Lettlands Einais Crlinskis Helsinki 86 Riga Anka Bergmanie

Litauischer Nationaler Jugendverband „Junglitauen“ Stasys Buskevidus

Christlich-Demokratische Partei Litauens -Alfredas Macrjanskas

Litauis che Freiheitsliga - Antanas Te rle ckas

Demokratische Partei Litauens - Po vilas Peceliunas

Litauische Helsinkigruppe - Viktoras Petkus

Ukrainische Helsinkigruppe Levko Lukjanenko

Ukrainski cas - Ivan Maker

Christlich-Demokratische Front der Ukraine - Vasilij Sicko Nationale Unabhängigkeitspartei Estlands - Lagle Parek

Aufruf des litauischen Verbandes für gegenseitige Hiife an die Völker des Baltikums

Unser grundlegendes Ziel besteht darin, zu erreichen, daß in unserer Gesellschaft die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und einer allgemeinen Sozialfürsorge ver¬ wirklicht werden, so daß jeder Bürger Litauens einen Lohn oder eine Rente erhalt, die nicht unter dem Existenzminl- mum liegt, sowie, daß Kranke und Invaliden zusätzliche Kompensationen erhalten, die notwendig sind, um die Aus¬ gaben für Heilung und Betreuung zu bestreiten.

Der litauische Verband für gegenseitige Hilfe hat, um sein grundlegendes Ziel zu verwirklichen, die ökonomische Situation der Einwohner Litauens analysiert und die Folge¬ rung gezogen, daß die absolute Mehrheit der Einwohner Litauens in Armut lebt, und ein nicht geringer Teil an der Hungergrenze. In einer besonders schwierigen materiellen Lage befinden sich kinderreiche Familien, Rentner und Invaliden. Ähnlich ist die Lage in Lettland, Estland.

Bei den vorhandenen Bedingungen, gekennzeichnet durch das Fehlen sowohl einer ökonomischen wie der politi¬ schen Selbständigkeit als auch das Fehlen von Perspekti¬ ven. eine volle Selbständigkeit im Rahmen der UdSSR zu erreichen, sowie ohne Garantien für solch eine Selbständig¬ keit. ist das etwas Irreales, ist eine allgemeine soziale Gerechtigkeit eine Utopie. Nur freie und unabhängige Vol¬ ker können die Idee einer sozialen Gerechtigkeit und einer allseitigen Fürsorge verwirklichen.

Die Völker des Baltikums sind nur auf friedlichem Wege imstande, die Unabhängigkeit zu erreichen durch die Abhaltung allgemeiner freier Wahlen der Völker Litauens, Lettlands und Estlands, bei denen das Wahlrecht den Zuge¬ reisten nicht gewährt wird und bei denen UNO -Be obachter beteiligt sind. Die Völker des Baltikums hatten in der durch die 1940 ungerechtfertigt erweise vollzogene Okkupation und Inkorporierung in die UdSSR entstandene Lage bis jetzt keine Freiheit der Wahl und keine Möglichkeit einer h'elen Entscheidung. Solch eine Möglichkeit gibt es erst jetzt, wo die Obrigkeit der UdSSR, die das Land in eine ökonomische

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Katastrophe geführt hat, gezwungen ist, die entwickelten Länder um Unterstützung zu bitten, und als in der UNO und in der Londoner Gildenhalle M. Gorbatschow das Recht der Völker auf freie Wahlen verkündete. Solch eine Möglichkeit der Wahlfreiheit haben die Völker des Baltikums erst in dem Moment, wo sie nicht beschränkt werden durch Verord* nungen über ein Referendum, neue Verfassungen oder andere drakonische Bestimmungen wie das Gesetz über die Demonstrationen.

Der litauische Verband für gegenseitige Hilfe lädt Litau¬ er, Letten und Esten ein.

Vfir fordern, daß die Regierung der UdSSR die Folgen des Molotow-Ribbantrop-Paktes liquidiert - aus den Staaten des Baltikums die Besatzungstruppen abzieht, keine Hin¬ dernisse schafft, daß die Völker Litauens, Lettlands und Estlands selbst ihre politisch-soziale Ordnung bestimmen, daß die verursachten materiellen und moralischen Schäden ersetzt werden.

Wir fordern, daß die Regierungen der UdSSR, BRD und DDR den Molotow-Ribbentrop-Pakt für vom Moment seiner Unterzeichnung an als juristisch ungültig erklären.

V\ßr bitten den UNO -Generalsekretär, auf die Tagesord¬ nung der nächsten Sitzung der Vollversammlung die Frage der Entkolonialisierung der Staaten des Baltikums zu set¬ zen und UNO-Kommissionen zu gründen für die Durchfüh¬ rung von Wahlen in Litauen, Lettland und Estland und für die Festlegung von Reparationen.

Der litauische Verband für gegenseitige Hilfe ist der Ansicht, daß jegliche Form der Äußerung des Willens der Völker Rechtskraft besitzt!

Briefe, die Ihre Willensäußerung ausdiücken, legen Sie bitte unserem Sekretariat vor:

233000 Kaunas, S. Heries 12-3/LSPS Republiksekretariat Kaunas, 26. April 1989

(Quelle: «Musu rupintojelis Unser Schmerzensmann Nr. 7, Organ des litauischen Verbandes gegenseitiger Hilfe)

Internationales Tribunal von Lima

Der Urteilsspruch

des Internationalen Tribunals gegen die Verschuldung in Lima, 22.-24. September 1989

Das Internationale Tribunal gegen die Verschuldung

# das gegründet wurde zur Untersu¬ chung der Pläne des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Europäischen Wirtschaftsgemein¬ schaft und zur Urteilsfindung über die Verantwortlichen für die Konsequen¬ zen der Auslandsschulden für di© Völ¬ ker:

# das in Lima (Peru) am 22., 23. und 24. September 1989 unter dem Vorsitz von Hälio Bicudo (Brasilien), Yves De- chezelles Frankreich), Ricardo Letts (Peru), Segundo Melendez (Vene¬ zuela), Omar Menouer (Algerien), Ralph Schoenman (USA) tagte.

# Auf der Grundlage des dtirch den Auftruf zum Tribunal gegebenen Auf¬ trags, der von politischen, gewerk¬ schaftlichen, demokratischen Organi¬ sationen und Menschenrechtsoiganl- satlonen aus Amerika, Afrika, Asien, der Karibik und Europa unterschrie¬ ben wurde, und der Mandate der in¬ ternationalen Konferenzen von Cara¬ cas (Venezuela) vom 24. -26. April 1987, der lateinamerikanischen Ge- Werkschaftskonferenz von Campinas (Brasilien) am 18719. Mai 1987. der Europäischen Konferenz von Berlin am 1./2. Oktober 1988, und gestützt auf die Arbeit der Gewerkschafts Kon¬ ferenz von Havannna (Kuba) gegen die Auslandsschulden im Jahre 1985;

# Vor einer internationdten Jury von 16 Geschworenen, bestehend aus Ju¬ risten, Wirtschaftswissenschaftlern, Akademikern, politischen Verant¬ wortlichen, Verantwortlichen von Ge¬ werkschaften und Baueinorganisatio- nen, die von repräsentativen Delega¬ tionen oder von beim Internationalen Tribunal anwesenden Organisationen bestimmt wurden, die frei und nach bestem Wissen und Gewissen urtei¬ len;

# Nach Anhörung der Anklageakte, die von politischen, gewerkschaftli¬ chen. demokratischen, Bauern- und Menschenrechtsorganisationen Perus erstellt und von Herrn Cesar Pa$sa- lacqua vorgetiagen wurde,

# Nach Anhörung der Untersu¬ chungsberichte, die vorgetcagen wur¬ den: von Heim Daniel Gluckstein (Frankreich) über die Konsequenzen der Verschuldung für die Weltwirt¬ schaft: von Herrn Yehude Simon (Peru) über die Konsequenzen der Verschuldung für die Menschen¬ rechte, die demokratischen Rechte und Freiheiten und die Souveränität der Völker; von Herrn Alloune Sow

(Senegal) über die Konsequenzen der Verschuldung für die Lebensbedin- gungen der Völker;

# Nach Anhörung der Aussagen von 35 Zeugen aus Afrika, Lateinamerika. Europa und der Karibik:

# Nachdem die Abwesenheit von Vertretern des IWF, der Weltbank und der EG festgestellt wurde, obwohl sie innerhalb der üblichen Fristen und in Übereinstimmung mit den Rechts¬ prinzipien, die weltweit als Garantie der Rechte der Verteidigung aner¬ kannt werden, zur Teilnahme an der Arbeit des Internationalen Tribunals eingeladen worden waren;

# ln Erwägung der offiziellen Zahlen, Dokumente und Erklärungen der Ver¬ antwortlichen von IWF, Weltbank und EG, die voigelegt wurden, sowie der mündlichen Berichte und Zeugenaus¬ sagen. stellt das Tribunal fest, daß seit 1980 gegen die Völker Afrikas, Asiens, Lateinamerika und der Karibik eine Politik der wirtschaftlichen „Anpas¬ sung* durchgeführt wurde, deren er¬ klärte Ziele die Senkung des Konsums des Volkes, der Kaufkraft und der Ab¬ koppelung der Löhne vom Preisan¬ stieg sind, sowie der Subventions¬ stopp für den öffentlichen Dienst und seine allgemeine Infragestellung, der millionenfache Abbau von Arbeits¬ plätzen, die Anwendung von Flexibili¬ sierung und Deregulienmg der Ar¬ beitsbedingungen. Infragestellung der eigentlichen Grundlagen der pro¬ duktiven Wirtschaft und der nationa¬ len Souveränität, und allgemeine Stei¬ gerung der Ausbeutungsrate, ln kei¬ ner Weise können die Verantwortli¬ chen dieser Instanzen sich auf guten Glauben oder Unwissenheit berufen, denn dem Tribunal liegen vorange¬ hende Absichtserklärungen dieser In¬ stitutionen vor, die keinen Zweifel of¬ fen lassen.

# In Erwägung der ausdrücklichen Prinzipienerklärungen der IWF-Ver- antwortlichen stellt das Tribunal fest, daß die „Anpassungs plane** des IWF weit davon entfernt sind, die Übel zu beseitigen, und stattdessen in allen Ländern, wo sie durchgesetzt wur¬ den, zu den Ergebnissen führten:

beispielloses Anheizen der Infla¬ tion,

ständiges Ansteigen des Export- anteüs, der für den Schuldendienst verwendet werden muß,

ständiges Sinken des Pro-Kopf- Einkommens,

ständiges Sinken der produktiven Investitionen,

allgemeine Zerschlagung der öf¬

fentlichen Einrichtungen.

Damit wird eindeutig di© Verant¬ wortung derer festgestellt, die die Schuldenpolitik anwenden: der Inter¬ nationale Währungsfonds, die Welt¬ bank, die Europäische Wirtschaftsge¬ meinschaft und die Regierungen, die eich zu ihren Komplizen machen.

Es entspricht den Tatsachen, sie als voll und ganz und bewußt verantwort¬ lich zu erklären für alle Konsequenzen der Schuldenpolitik; besonders sind sie voll und ganz verantwortlich für Elend, Hunger und Tod, welch© die Experten des Internationalen Wäh¬ rungsfonds in der ganzen Welt ver¬ breiten.

# In Erwägung der dem Tribunal vor¬ gelegten Tatsachen und Zahlen stellt sich heraus, daß die angeblichen „Schulden" (1 300 Milliarden Dollar), die den unterdrückten Ländern ange¬ rechnet werden, im allgemeinen be¬ reits über die Schuldensumme hinaus durch die schon geleisteten Zahlun¬ gen beglichen sind.

In Erwägung der ausführlichen, de¬ taillierten und eingehenden Informa¬ tionen über die </